Generika

Abgabe je nach Zulassungsnummer

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Berlin -

Rund 80 Präparate sorgen derzeit in den Apotheken für Chaos: Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sind die Arzneimittel nicht mehr verkehrsfähig. Hersteller und Kassen relativieren: Es sei noch gar nicht sicher, ob Rabattarzneimittel betroffen seien. Für die Apotheker macht das in der Praxis jedoch vorerst keinen Unterschied.

Die AOK Baden-Württemberg hat mit dem Hersteller Heumann Verträge über Irbesartan/HCT geschlossen. Das Präparat steht auf der BfArM-Liste. Trotzdem erklärt die Kasse: „Ob auch ein rabattiertes Arzneimittel betroffen ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.“

Hintergrund dieses Widerspruchs sind verschiedene Zulassungen der Hersteller für ein und dasselbe Präparat. Von den Anordnungen des BfArM ist jeweils nur eine betroffen. Das kann bedeuten, dass ein Präparat mit der einen Zulassungsnummer nicht mehr verkehrsfähig ist, mit der anderen aber weiterhin abgegeben werden kann. Auf welcher Grundlage tatsächlich produziert wird, kann von Charge zu Charge variieren.

Vor diesem Problem steht auch die Barmer GEK mit ihren Verträgen über Irbesartan, Irbesartan/HCT und Venlafaxin von Heumann: „Ob überhaupt Rabattverträge der Barmer GEK betroffen sind, wird derzeit noch genau geprüft und hängt davon ab, welche Zulassungen für die jeweiligen Rabattarzneien verwendet wurden“, so ein Sprecher der Kasse.

Für Missstimmung sorgt auch, dass das BfArM die Öffentlichkeit selbst über die ergriffenen Maßnahmen informiert hatte. Das Ruhen der Zulassung sowie Änderungen bei der Verkehrsfähigkeit werden den Unternehmen üblicherweise direkt mitgeteilt. Diese prüfen dann, ob die im Verkehr befindlichen Medikamente betroffen sind oder nicht.

In diesem Fall können die Hersteller innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Die Arzneimittel werden dann zunächst weiter verkauft. Die womöglich vorschnelle Meldung des BfArM kann daher nach Einschätzung aus der Branche sogar rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Die Apotheker wurden nicht aktiv informiert. Zwar veröffentlicht die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) auf ihrer Webseite zu dem Thema. Die AMK-Meldung findet aber nur, wer danach sucht. Anders als bei einem Rückruf – den es in diesem Fall noch nicht gab – greife das AMK/Phagro-Schnellinformationssystem aktuell nicht, erklärt eine ABDA-Sprecherin. Dennoch habe die AMK die Großhändler informiert.

Die Großhändler sind allerdings nicht verpflichtet, die Information weiterzugeben. Das Schnellinformationssystem greift normalerweise, wenn die Meldung zwischen Hersteller und AMK abgestimmt wurde. Zudem müssen Gesundheitsrisiken vorliegen. Beides war hier nicht der Fall. Vielleicht waren die Großhändler daher vorsichtig: Denn möglicherweise würden sie sogar ein Risiko eingehen, falls Präparate zu Unrecht als nicht verkehrsfähig erklärt würden.

Außerdem befinden sich Arzneimittel auf der Liste, die zwar zugelassen wurden, aber niemals in den Handel gelangt sind. Das trifft beispielsweise auf Entacapon von Stada zu: Dem Hersteller zufolge ist das Präparat „aus innerbetrieblichen Gründen zu keiner Zeit vermarktet worden“. Daher seien in Deutschland von Stada vertriebene Produkte nicht betroffen.

Aus Sicht der AOK Baden-Württemberg ist das Problem nicht so groß wie anfangs vermutet: „Zwischenzeitlich wurde deutlich, dass viele Verdachtsmomente durch weitere, mit anderen Instituten durchgeführten Studien entkräftet werden konnten“, so ein Sprecher der Kasse. Für die Mehrzahl der durch das BfArM untersuchten Arzneimittel habe mittlerweile Entwarnung gegeben werden können, für die verbleibenden seien die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.

Die Entscheidung des BfArM, die genannten Zulassungen vorsorglich ruhend zu stellen, ist aus Sicht der AOK dennoch ein angemessener Schritt. Die Kasse betont aber auch, dass dem BfArM derzeit keine Hinweise auf Gesundheitsgefahren vorlägen. „Die Arzneimitteltherapie sollte nicht ohne vorherige ärztliche Beratung unterbrochen oder abgebrochen werden“, so die Empfehlung. Einem Bericht des Handelsblatt zufolge prüfen die Kassen derzeit mögliche Regressforderungen gegenüber den Herstellern.

Dem Vorwurf, die aktuelle Entwicklung durch rigide Sparmaßnahmen selbst verursacht zu haben, widersprechen die Kassen: „Bereits bevor es Rabattverträge gab, haben Pharmaunternehmen Studienstandorte weltweit ausgewählt“, heißt es bei der Barmer. Dies sei keine Folge der Rabattverträge. Die AOK Baden-Württemberg ergänzt: „Da auch nicht im Ansatz erkennbar ist, dass der Dienstleister für – teils – mangelhafte Studien weniger Geld verlangte, kann den Generikaanbietern in Deutschland kaum nachgesagt werden, sie hätten aus Gründen des Kostendrucks heraus mangelhafte Zulassungen entwickelt oder gekauft.“

Dr. Mathias Pietras, Geschäftsführer des betroffenen Herstellers Hormosan, erklärt hierzu: GVK Biosciences sei ein bekanntes und renommiertes Unternehmen – es handele sich dabei durchaus nicht um den billigsten Anbieter. Viele Generikahersteller gäben Studien bei Dienstleistern außerhalb Europas in Auftrag, so Pietras. Das sei branchenüblich.

Natürlich seien die Untersuchungen in Indien günstiger als in Europa, aber das ist aus Sicht von Pietras schon längst nicht mehr der einzige Grund, aus dem sich Hersteller für Anbieter in Asien entschieden: „Indien ist auf dem Arzneimittelmarkt kein Entwicklungsland“, ist Pietras überzeugt. Die Entwicklungsstandards aus Europa und den USA hätten sich durchgesetzt – und die Vorgaben der US-Arzneimittelbehörde FDA sind nach seiner Einschätzung strenger als die der EU.

Pietras ist überzeugt, dass der aktuelle Fall nicht die Regel aufgedeckt habe, sondern vielmehr zeige, dass das Kontrollsystem funktioniere. Dass einzelne Mitarbeiter oder Unternehmen Studien fälschten, könne man niemals ganz ausschließen: „Das hätte auch in Europa oder Deutschland passieren können.“ Hier wie dort fänden regelmäßig Kontrollen statt.

Das sieht Magdalene Linz, Präsidentin der niedersächsischen Apothekerkammer, anders. Sie zeigte sich entsetzt über die Art und das Ausmaß der Studienmanipulation: „So hätte eine Zulassung nie erteilt werden dürfen.“ Bei den Studien sei erheblich gegen die „Gute Klinische Praxis“ verstoßen worden, die in Europa Standard bei der Durchführung klinischer Studien sei.

„Seit Jahren warnen wir Apotheker davor, die bewährte europäische Handelskette – Hersteller, Großhandel, Apotheken – aufzuweichen und die Arzneimittelproduktion überwiegend in Drittländer auszulagern“, so Linz. Sie fordert, die Herstellung wieder vermehrt nach Europa zu verlagern, statt in China oder Indien zu produzieren. Dort könnten Herstellungsbedingungen durch externe Inspektoren nicht verlässlich überwacht werden könnten.

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