Substitution und Kompression beachten

Corona-Impfung bei Hämophilie

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Berlin -

Seit bald einem Jahr kommen die Apotheken vermehrt mit Hämophilie-Patient:innen in Kontakt. Seit September versorgen Apotheker:innen und PTA die Betroffenen mit den benötigten Faktorpräparaten. Im Beratungsgespräch wird nicht allein über die Grunderkrankung gesprochen, aktuell ist auch ein erhöhter Beratungsbedarf beim Thema Impfen zu verzeichnen. Und da gibt es bei Hämophilie einige Dinge zu beachten.

Apothekerin Lara Fürtges ist tagtäglich mit Patient:innen mit Hämophilie und anderen Blutgerinnungsstörungen in Kontakt. In der Medios-Apotheke an der Charité in Berlin versorgt sie gemeinsam mit ihren Kolleg:innen zahlreiche Betroffene. Die Apotheke gehört zu den Gründungsmitgliedern des Verbandes der Hämophilie-Apotheken (VHA), dessen Ziel die professionelle und vollumfängliche Versorgung der Patient:innen durch die öffentliche Apotheke ist. Dazu gehört auch eine gute Beratung. Fürtges berichtet, dass die Patient:innen aktuell aktiv den Austausch zum Thema Impfung suchen. Für Mitarbeiter:innen in den Apotheken ist es deshalb wichtig, sensibilisiert zu sein für die Besonderheiten die es bei Hämophilie-Patient:innen im Zusammenhang mit dem Thema Impfen gibt und die Betroffenen für anstehende Impfungen gegebenenfalls an ein spezialisiertes Zentrum zu verweisen.

„Einige Patient:innen werden priorisiert geimpft. Das liegt daran, dass häufig nicht nur die Hämophilie als Grunderkrankung, sondern auch andere Leiden vorliegen. Durch den Bluter-Skandal in den 80er-Jahren wurden beispielsweise viele mit HIV oder Hepatitis angesteckt. Da kann die Leber oft in Mitleidenschaft gezogen worden sein.“ Für Hämophilie-Patient:innen wird also eine generelle Impfempfehlung ausgesprochen. Die konkrete Bevorzugung eines speziellen Impfstoffes gibt es nicht. „Was beachtet werden muss, ist eine Unverträglichkeit gegen PEG. Wenige Patient:innen haben in der Vergangenheit eine Unverträglichkeit gegenüber PEGylierten Faktorpräparaten gezeigt. Da sollte man dann auf den mRNA-Imfpstoff von Biontech und Moderna verzichten und auf einen Vektorimpfstoff ohne PEG ausweichen. Dies sollte immer in Rücksprache mit dem Hämophiliezentrum/Hämostaseolog:in besprochen werden.“

Streng i.m. – auch wenn andere Impfungen teilweise s.c. möglich sind

Normalerweise werden die Impfstoffe streng intramuskulär injiziert. Durch die intramuskuläre Injektion kommt es zu weniger Reaktionen an der Einstichstelle. Zum Vergleich: Bei einer subcutanen Applikation kann es zu Zysten und Knötchenbildung sowie Brennen und schmerzhaften Hautverhärtungen kommen. Generell werden Vakzine durch das gut durchblutete Muskelgewebe besser aufgenommen. Doch genau hier liegt die Krux für Hämophilie-Patienten: Denn die intramuskuläre Injektion birgt eine erhöhte Blutungsneigung. „Viele Kinder-Impfungen aus der Stiko-Empfehlung können beispielsweise auch gut subcutan verabreicht werden. Leider liegen für die aktuell zugelassen Corona-Impfstoffe keine Erfahrungswerte über eine subcutane Injektion vor. Die Corona-Impfung ist in jedem Fall intramuskulär durchzuführen“, erklärt Fürtges.

Auch beim Zeitpunkt der Impfung sollte auf Einiges geachtet werden. Die meisten Menschen können spontan angerufen werden, wenn eine Impfung am Abend in der Arztpraxis übrig bleibt, und ohne große Vorbereitung losfahren. „Bei Hämophilie-Patienten sollte eine Impfung geplant sein. Die besten Voraussetzungen hat ein Patient/eine Patientin, wenn eine Faktor-Restaktivität von über 10 Prozent vorliegt“, erklärt Fürtges. Bei Werten zwischen 5 und 10 Prozent sollte mit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin abgesprochen werden, ob eine Prophylaxe durch eine Faktorsubstitution erfolgen sollte. „Wer das Spritzen in der Heimselbsttherapie nicht gelernt hat, kann sich für die Gabe ebenfalls ans Zentrum wenden, grundsätzlich muss eine ärztliche Rücksprache gehalten werden“, erklärt Fürtges. „Wenn substituiert werden muss, so sollte die Faktor-Applikation am gleichen Tag wie die Impfung erfolgen. So werden die Blutungsneigung herabgesetzt und das Risiko einer Hämatombildung reduziert.“

Auch für Patient:innen mit anderen Blutgerinnungsstörungen wie das von-Willebrand-Syndrom kann eine Rücksprache mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt notwendig sein. „Wer regelmäßig eine prophylaktische Faktorgabe durchführt, wie für den Typ III des Von-Willebrand-Syndroms notwendig, sollte ebenfalls am Tag der Impfung substituieren. In leichteren Fällen kann eine einmalige Substitution oder die Gabe von Tranexamsäure oder Demopressin notwendig sein. Es gilt auch hier, eine individuelle Entscheidung mit dem Zentrum zu finden.“

Kompression und Nachbeobachtung

Hämophilie-Patient:innen sollten direkt nach der Impfung für zehn Minuten Druck auf die Einstichstelle ausüben (Kompression) und generell etwas länger nach der Impfung beobachtet werden. „Laut der vorläufigen Konsensempfehlungen zur SARS-CoV-2 Impfung bei Patienten mit Hämophilie der GTH (Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V.) vom 20.01.21, sollte eine möglichst dünne Nadel für die Injektion verwendet werden. Die Auswahl der Kanüle erfolgt dabei im Rahmen der Zulassung des entsprechenden Impfstoffs.“

Die Injektion sollte auch etwas langsamer erfolgen – ähnlich der Impfung von antikoagulierten Patient:innen. „Die Herausforderung bei der Impfung von Hämophilie-Patient:innen ist die Abschätzung, ob es sich bei Veränderungen im Oberarm um eine reine Impfreaktion oder um ein Hämatom handelt“, erzählt Fürtges, die ihren Patient:innen rät, den Arm zwei bis vier Stunden nach der Injektion genau zu betrachten und abzutasten. „Die Abschätzung ist schwer, doch man kann sagen, dass ein Hämatom etwas früher auftritt, als eine reine Impfreaktion.“ Da es für die Betroffenen jedoch nicht einfach ist, eine Differenzierung vorzunehmen, sollte im Zweifelsfall eine ärztliche Abklärung erfolgen.

„Die Patient:innen kommen meist schon mit einem guten Vorwissen ins Gespräch“, berichtet Fürtges. Die meisten seien generell gut über ihre Erkrankung informiert. Häufig ist die Apothekerin selbst überrascht, wie gut die Betroffenen über ihre Erkrankung Bescheid wissen. Die Patient:innen hätten die umgestellte Versorgung über die Apotheken gut angenommen. „Auch die Zusammenarbeit mit den Versorgungszentren läuft gut. Wir tauschen uns regelmäßig mit den dort praktizierenden Ärztinnen und Ärzten aus. Erste Anlaufstelle ist immer der behandelnde Hämophilie-Arzt/die behandelnde Hämophilie-Ärztin und die Gerinnungszentren, so kommunizieren wir das auch im Patient:innen-Gespräch. Gute Informationen gibt es außerdem bei den Patient:innenvertretungen wie der IGH und der DHG.““

Die Versorgung über die Apotheke hat auch für einige Betroffene konkrete Vorteile. „Nicht selten ist die Bewegungsfähigkeit der Betroffenen stark eingeschränkt. Durch wiederholte Einblutungen in die Gelenke sind die Patient:innen zum Teil nicht so mobil. Da ist es natürlich toll, wenn die Apotheke die große Menge an Medikamenten nach Hause liefert und die Packungen nicht selbst transportiert werden müssen.“ Alles in allem schaut Fürtges auf erfolgreiche Monate zurück. „Nicht nur die Patient:innen können von unserer Beratung profitieren – auch ich lerne häufig Neues von den Betroffenen.“

Eigentlich besteht keine Priorisierung, da auch kein erhöhtes Risiko für Ansteckung oder schweren Verlauf droht. Allerdings wird es gerinnungsmäßig problematisch, wenn es dann doch so schlimm ist, dass es ins Krankenhaus gehen soll. Es gibt keine generelle Empfehlung dazu, jedoch laufen die Impfungen jetzt für Hämophilie-Patient:innen (ohne Vorerkrankungen) auch vermehrt an, denn viele Ärzt:innen sehen die Hämophilie schon als Begründung für eine jeweilige Einzelfallpriorisierung. Es ist letztlich halt auch eine chronische Erkrankung, und die Patient:innen unterscheiden sich damit von gesunden Erwachsenen.

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