Nutzenbewertung

Festbetrag als Rettungsanker?

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Berlin -

Hersteller umgehen absichtlich die gesetzlich vorgeschriebene frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel. Das befürchtet zumindest Kathrin Vogler, Arzneimittelexpertin der Linksfraktion. Auf diese Weise könnten Medikamente zum Preis der Vergleichstherapie auf den Markt gebracht werden, selbst wenn der Nutzen geringer sei. In einer Kleinen Anfrage macht die Fraktion auf das Problem aufmerksam und fragt nach Lösungen.

Seit 2011 sollen durch die im AMNOG vorgesehene Nutzenbewertung hohe Preise für Präparate, die keinen zusätzlichen Nutzen haben, ausgeschlossen werden. Demnach bestimmt der Zusatznutzen den Abgabepreis: Bei positivem Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) verhandeln GKV-Spitzenverband und Hersteller. Fehlt der Zusatznutzen, wird das Medikament einer Festbetragsgruppe zugeordnet.

Nach aktueller Gesetzeslage, so Vogler, können Hersteller die Aufforderung, ein Dossier beim G-BA einzureichen, ignorieren oder dieser nicht rechtzeitig oder vollständig nachkommen. Vogler verweist auf Aussagen des G-BA-Vorsitzenden Josef Hecken, der die fehlende oder unvollständige Einreichung von Dossiers als „in der überwiegenden Zahl der Fälle als beabsichtigt“ einstuft.

Das sei dann problematisch, wenn das neue Präparat schlechter sei als die Vergleichstherapie. Durch die kalkulierte Verweigerung von Daten verhindere der Hersteller eine komplett negatives Votum: „Eine derartige Bewertung würde zweifelsohne in der Verordnungspraxis der Ärzte ihren Niederschlag finden und die Umsatzentwicklung des Unternehmens belasten“, zitiert die Linke Hecken.

Vogler und die anderen Abgeordneten wollen von der Bundesregierung wissen, ob das nicht eingereichte Dossier eine Bewertung des Zusatznutzens neuer Arzneimittel verhindern kann und inwiefern der Zweck des AMNOG damit unterlaufen werde. Auch fragen sie, inwiefern der Zusatznutzen noch den Preis bestimmen könne, wenn dieser nicht bewertet sei, und für wie viele neue Arzneimittel seit Geltung des AMNOG keine frühe Nutzenbewertung existiere. Die Abgeordneten fragen zudem nach einer möglichen gesetzlichen Konkretisierung.

Anlass für die Nachfrage könnte die bislang einzigartige Ausgabenentwicklung des Präparats Sovaldi (Sovosbuvir) zur Behandlung von Hepatitis C sein. Seit der Markteinführung im Januar habe das Präparat bereits Ausgaben von 123 Millionen Euro verursacht. In der vergangenen Woche informierte sich die Fraktion in einer weiteren Anfrage dazu. Laut Angaben der Fraktion nahm der Hersteller Gilead mit dem Präparat im ersten Halbjahr 5,8 Milliarden US-Dollar (4,6 Milliarden Euro) ein.

Laut Antwort der Bundesregierung lebten 2012 in Deutschland insgesamt rund 410.000 Menschen mit Hepatitis C. Knapp 100.000 von ihnen kämen für die Behandlung mit Sovaldi in Frage. Die Behandlung für einen Patienten kostet je nach Therapiedauer zwischen 60.000 und 120.000 Euro. Im ersten Halbjahr wurden laut Wissenschaftlichem Institut der AOK rund 8700 Packungen verordnet.

Ein beträchtlicher Zusatznutzen besteht laut den Angaben für rund 4600 Patienten (5 Prozent). Ein geringer Zusatznutzen besteht für insgesamt 44.000 Patienten (37 Prozent). Für 51.300 Patienten (51 Prozent) ist der Zusatznutzen nicht belegt.

Vorschläge der Kassen, den ausgehandelten Erstattungsbetrag auch für das erste Jahr nach Markteinführung geltend zu machen, schließt die Bundesregierung nicht aus. Solche Vorschläge seien am Grundrecht der Berufsfreiheit der Hersteller und am verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot zu messen. Eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit hänge von der konkreten Ausgestaltung ab. „Grundsätzlich hat sich das mit dem AMNOG eingeführte Zusammenspiel von Nutzenbewertung und anschließenden Preisverhandlungen bewährt“, so die Bundesregierung.

66 neue Wirkstoffe sind seit Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) bewertet worden. In 13 Fällen wurde ein beträchtlicher Zusatznutzen bescheinigt, bei sechs Präparaten ein nicht quantifizierbarer und knapp 20 Mal ein geringer Zusatznutzen.

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