Existenzgründungen in der Pandemie

Erleichtert die Coronakrise Apothekenübernahmen?

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Berlin -

Die Coronakrise hat den Apothekenmarkt durcheinandergewirbelt. Von zusätzlichen Aufgaben bis zu wirtschaftlicher Unberechenbarkeit sind die Herausforderungen allerorts gewachsen, der Blick in die Zukunft scheint unsicherer denn je – keine gute Zeit also, um eine Existenzgründung in Angriff zu nehmen. Oder etwa doch? Andreas Sagert leitet das Beraterteam für Selbständige Heilberufe in der Apobank-Filiale Stuttgart. Er erklärt, dass es seit Beginn der Pandemie keinen spürbaren Einbruch bei Neugründungen und Übernahmen gegeben habe. Die aktuelle Situation berge sogar Chancen für Gründer, betont der diplomierte Bankbetriebswirt.

ADHOC: Welche Auswirkungen der Coronakrise lassen sich bei Neugründungen oder Übernahmen beobachten?
SAGERT: Im Moment kann man nicht sagen, der Übernahme- beziehungsweise Gründermarkt sei eingebrochen. Dazu dürfte aber auch beitragen, dass Übernahmegeschäfte sowieso meist mit zwei bis drei Jahren Vorplanungen durchgeführt werden. Was uns ganz im Gegenteil ein Stück weit überrascht hat, ist die aktuelle Nachfrage nach Beratung. Wir veranstalten jedes Jahr einen Existenzgründungsworkshop in Baden-Württemberg, der meist um die 50 Teilnehmer hat. Vergangenes Jahr war er entfallen, weil es sich um eine Präsenzveranstaltung handelt. Damit er nicht erneut entfällt, haben dann 2021 auf ein digitales Ganztagsformat umgestellt – und hatten dann über 100 Teilnehmern. Da kam den ganzen Tag nicht einmal das Gefühl auf, dass es da zurzeit Vorbehalte gegenüber Existenzgründungen gäbe.

ADHOC: Die Unsicherheit hat also keine Auswirkungen?
SAGERT: Es gibt Corona-Gewinner und -Verlierer. Die Chancen sind auch in Zukunft immer noch größer als die Risiken. Und diese Risiken haben wir im Prinzip schon seit 20 Jahren. Demgegenüber stehen aber die Gestaltungsmöglichkeiten, die gefühlt zugenommen haben. Ich habe das Gefühl, dass der Apothekenberuf im Moment eher noch etwas Rückenwind erhält, weil er wieder im Fokus steht und seine gesellschaftliche Rolle im vergangenen Jahr so präsent war. Die Coronakrise ist wie ein Pilotprojekt, um zu sehen, welche Dienstleistungen Apotheken in Zukunft anbieten können, das sieht man ja bei der Organisation von Maskenverteilung, Tests, Impfstoffverteilung und künftig auch dem digitalen Impfausweis. Es zeigt sich, dass viele das Potenzial haben, künftig mehr als die klassischen Aufgaben zu übernehmen. Es war auch für mich überraschend, wieder Schlangen vor Apotheken zu sehen – und zwar nicht wegen zu kleiner Räumlichkeiten, sondern wegen hoher Nachfrage. Das gibt Hoffnung, dass sich der Aufwand im Moment lohnt.

ADHOC: Wenn es normalerweise zwei bis drei Jahre von der Entscheidung zur Übernahme dauert, könnte es dann nicht in zwei bis drei Jahren zu einem Einbruch bei Gründungen und Übernahmen kommen?
SAGERT: Ich glaube nicht, dass das Interesse daran abnimmt. Allerdings könnte es gut sein, dass sich der Zeitraum bis zur Realisierung verlängert, weil Interessenten die jeweilige Apotheke vor einer Übernahme noch genauer durchleuchten, als sie es früher gemacht haben, als man einfach zwei bis drei Bilanzen durchgegangen ist und dann entschieden hat. Gut möglich also, dass die Übernahmezahlen ab 2023 rückwirkend etwas hinken und dass sich der Markt dann etwas verhärtet, also noch mehr Apotheken auf eine begrenzte Nachfrage stoßen könnten. Wenn es dann diejenigen, die Interesse haben, alle auf dieselben Objekte absehen, könnte das eine noch größere Spreizung der Kaufpreise nach sich ziehen. Die Verschiebung vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt schreitet voran.

ADHOC: Gibt es besondere Schwierigkeiten für diejenigen, die noch während der Coronakrise gründen oder übernehmen?
SAGERT: Es ist momentan schwierig, eine Bilanz auszuwerten, weil da die vergangenen ein, zwei Jahre Sonderfaktoren drin waren, die man berücksichtigen muss. Und das war ja nicht nur Corona, sondern gegebenenfalls auch die AvP-Insolvenz. Deshalb machen wir mit unseren Kunden verstärkt Planrechnungen, die aufzeigen, wie hoch der Umsatz sein muss, damit der Ertrag am Ende stimmt. Ich glaube, das wird künftig stärker nachgefragt werden. Der Blick in die Zukunft wird noch wichtiger. Es ist unsere Verantwortung und unser Know-how, den Kunden auch mal zu sagen, wenn es nicht passt. Denn es ist nicht einfach, ein Gespür dafür zu kriegen, was auf einen zukommt. Bisher war es das Nettogehalt, mit dem alle laufenden Kosten gedeckt werden konnten – und dann sind es plötzlich so viele Faktoren, die man zwar berechnen kann, aber die Rechnung ist komplex. Denn sie betrifft nicht nur die Finanzen, sondern auch das Personal. Diejenigen, die jetzt viel Umsatz machen, müssen natürlich auch das Personal aufstocken – und Fachkräfte zu finden, ist weiterhin schwierig.

ADHOC: Haben Sie besondere Ratschläge für Apotheker:innen, die in Coronakrise gründen wollen?
SAGERT: Es gibt eher keine speziellen Risiken, aber einen Leitsatz, den ich allen meinen Kunden zurzeit ganz besonders mitgebe: Man sollte gerade zu Beginn einen finanziellen Puffer aufbauen und ausreichend Liquidität vorhalten. Diejenigen, die das gemacht haben, sind bisher gut durchgekommen. Wer alles auf Kante näht, gerät gerade bei einer Durststrecke schneller in Probleme. Deshalb sollte man immer einen Puffer mit in die Gründung einbringen, damit man in den ersten Wochen und Monaten auch mal eine schwierige Zeit überbrücken kann. Das kann am besten auf zwei Arten geschehen: Einmal sollte man einen ausreichenden Überziehungsrahmen auf den Konten haben. Die Ausgaben für drei bis sechs Monate sollte man damit abdecken können. Und dann sollte man für Phasen akuter Unsicherheit im Falle einer Krise nochmal vier bis sechs Wochen Liquidität draufpacken, die auch über ein Darlehen finanziert werden kann.

Außerdem hat Corona mal wieder gezeigt, wie wichtig es ist, sich stärker digital aufzustellen. Das ist auch die Erwartung der Kunden, dem kann man sich heute nicht mehr entziehen. Worauf ich darüber hinaus extrem viel Wert lege: Gründer sollten unbedingt einen Businessplan erstellen. Man sollte sich immer Gedanken machen, wie das künftige Geschäftsmodell aussehen soll und wofür man steht. Es ist sehr wichtig, dass vom ersten Tag an eine Marke entsteht, die sich durch den gesamten Geschäftsbetrieb zieht und am Markt wahrgenommen wird. Das heißt nicht, dass man alles Bisherige über Bord werfen sollte, davon rate ich sogar ab. Aber man sollte sich über konkrete Fragen im Klaren sein: Welche Gruppe will ich ansprechen? Auf welchen Bereich will ich mich konzentrieren? Wie sieht mein Umfeld aus? Welche Verordner habe ich in der direkten Umgebung? Wenn man sowas verschriftlicht, lässt sich danach leichter abgleichen, wo man steht und wie die Perspektive ist. Das kann ich jedem nur ans Herz legen. Denn das Ganze muss nicht nur zwei oder drei, sondern 15 oder 20 Jahre Bestand haben.

ADHOC: Gibt es umgekehrt eventuell auch besondere Chancen durch die Krise?
SAGERT: Chancen sind immer da, gerade weil der Gesundheitsmarkt weiterhin ein Wachstumsmarkt ist. Es gibt Verschiebungen beim Umsatz in der Apotheke, wie der Ausfall der Grippesaison gezeigt hat. Der Druck im Markt ist durch Corona nicht wesentlich größer geworden, der Markt war immer eng. Allerdings hat sich die Systemrelevanz der Apotheken umso stärker gezeigt. Apotheken können mit ihren Beratungsleistungen künftig Drehscheibe im gesamten Gesundheitswesen sein.

ADHOC: Könnte die Krise auch Übernahmen erleichtern?
SAGERT: Gegebenenfalls ja. Bisher spielte der Standort eine sehr große Rolle, auch bei Innenstadtlagen, Fußgängerzonen oder Centern. Die Preise für diese Apotheken könnten sinken, von daher könnte es eine gute Zeit sein, um einen solchen Betrieb zu kaufen. Gleichzeitig steigt weiterhin die Bereitschaft, für eine Top-Apotheke mehr zu zahlen. Die Kaufpreisentwicklung wird sich auch dadurch noch mehr spreizen.

ADHOC: Gibt es bereits Erkenntnisse, ob sich durch Corona bei Existenzgründungen strukturell etwas geändert hat?
SAGERT: Ob es da größere Änderungen gibt, kann man noch nicht so genau sagen. Ich persönlich hatte im vergangenen Jahr von der Innenstadt übers Center bis an den Stadtrand alle Lagen dabei. Was man aber deutlich beobachten kann: Die OHG erlangt im Moment einen ganz neuen Aufschwung, weil sie einen ganz sanften Einstieg ermöglicht und so Risiken kalkulierbarer macht. Bei der OHG kann der Senior oder alleinige Vorbesitzer noch drinbleiben und mit einem Stufenmodell in die alleinige Inhaberschaft überleiten. Dann geht es Schritt für Schritt in die Selbstständigkeit. Gerade bei größeren Apotheken ist das sinnvoll.

ADHOC: Gibt es durch die Unsicherheit am Markt gerade Veränderungen bei der Finanzierbarkeit oder Konditionen, die für Gründer relevant sind?
SAGERT: Bei der Apobank nicht. Wenn wir der Meinung sind, dass ein Projekt Zukunft hat – und das lässt sich aufgrund unseres Know-hows sehr gut projizieren – dann erhalten Apotheker dieselben Konditionen wie eh und je. Unser Vorteil ist, dass wir als Apobank nur im Gesundheitswesen aktiv sind und unsere eigene Bilanz deshalb weiterhin sehr gesund ist. Es kann sein, dass sich andere Banken im Moment schwerer tun, Kredite zu guten Konditionen zu vergeben, wenn sie auch in Sektoren unterwegs sind, die stärker von der Krise betroffen sind. Genau genommen ist es sogar so, dass es ein sehr guter Moment ist, um Kredite aufzunehmen. Denn die Zinsen sind nach wie vor sehr niedrig – so günstig wie im Moment ist man noch nie ans Geld gekommen. Für Existenzgründer ist es daher trotz allem eine sehr gute Zeit.

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