Whistleblowerin in Apotheke

Betrug und Abzocke: Mitarbeiterin zeigt Chefin an

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Berlin -

Abrechnungsbetrug wird oft durch Krankenkassen entdeckt, aber auch sogenannte Whistleblower aus den Unternehmen spielen eine wichtige Rolle. Die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) hat daher ein Postfach für Hinweisgeber eingerichtet, die anonym bleiben wollen. Eine Apothekenmitarbeiterin nutzte kürzlich diesen Weg, um dubiose Geschäfte ihrer Chefin anzuzeigen. Nach einer Razzia läuft jetzt das Ermittlungsverfahren, vergebens versuchte die Inhaberin, die Glaubwürdigkeit der Zeugin in Zweifel zu ziehen.

In der Apotheke, in der sie arbeite, komme es immer wieder durch mehrere Kunden zu Abrechnungsbetrug, teilte die Angestellte im vergangenen Sommer über das Postfach der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg mit. Eine spezielle Kundin, die sie namentlich kenne, komme regelmäßig zu ihrer Chefin in die Apotheke, um sich jeweils zwischen 10 bis 20 Privatrezepte, die sie von ihren Ärzten gesammelt habe, „nachquittieren“ zu lassen. Die Apothekerin gebe die verordneten Medikamente nicht ab, sondern bedrucke lediglich die Rezepte, damit die Kundin die Rezepte bei ihrer Versicherung einreichen könne. „Beide Damen kennen sich schon länger und es geht schon eine ganze Zeit lang so“, so die Hinweisgeberin.

Konkret schilderte sie das Vorgehen: Die Rezepte würden im System unter „Test“ bedruckt, danach würden die vorhandenen Umsätze einzeln aus dem System gelöscht. „Es existiert also kein Quittungsbeleg beziehungsweise Kassenzettel über die verkauften Medikamente.“ Da die Kundin die Belege aber bei ihrer Versicherung einreiche, müssten diese dort aufzufinden sein, abgestempelt von der Apotheke.

Sie nannte sogar ein Datum, an dem die Kundin nach ihrer Kenntnis zuletzt in der Apotheke gewesen sei. Das Ganze sei aber kein Einzelfall: Ihre Chefin „macht das auch bei anderen ihrer Kunden so“, die sie allerdings namentlich nicht kenne.

Weitere Verstöße

Und es wurden weitere Anschuldigungen gemacht, die teilweise in späteren Beschwerden vorgetragen oder konkretisiert wurden: So verkaufe die Chefin auch „sehr viele verschreibungspflichtige Medikamente, darunter auch starke Schlaftabletten“, ohne Rezept an ihre Kunden. Auch hier verwies die Mitarbeiterin auf die Verordnungen einer bestimmten Kundin.

Aber selbst Kunden wurden angeblich abgezockt: „Ist es für sie auch erheblich, wenn die Inhaberin im Notdienst […] für ein 12-jähriges Kind ein Rezept bar kassiert? Ich habe hier das Rezept des Kunden sowie auch die Historie des Abverkaufs […] plus die Summe des Betrages, den sie bar erhalten hat.“

Konkret ging es in dem Fall um Fenisitil, wobei die Inhaberin ausweislich eines übermittelten Screenshots anstelle der verordneten Dragees die Tropfen abgegeben haben soll. Die Filialleiterin habe das Rezept jedenfalls nach dem besagten Notdienst entdeckt und die Chefin darauf hingewiesen, dass OTC-Medikamente eigentlich bis 18 Jahren von der Kasse übernommen werden. Als die Inhaberin ihr angeblich freistellte, das Rezept trotzdem noch zu bedrucken, soll die Kollegin das Rezept sofort vernichtet und in der Folge auch gekündigt haben – aus Angst um ihre Approbation, wie die Mitarbeiterin feststellte.

„Ja, die ganze Sache kommt leider ziemlich häufig vor, aber das kann man nur in ihrem System ADG 3000 sehen. Sie quittiert die Rezepte ja und gibt oft andere Medikamente ab, aber dazu müsste man im System nachsehen, weil dort die Kopien des Rezeptes gespeichert sind.“

Kollegin als Zeugin

Konkreter wurden diese Vorwürfe nicht, aber in der Korrespondenz mit den Ermittlern wurde als Zeugin der Vorfälle eine weitere Kollegin benannt. Diese werde allerdings von der Chefin unter Druck gesetzt: „Ich befürchte, dass sie nicht zu einer Aussage bereit wäre“. Wahrscheinlicher sei, dass sie die Informationen weitergebe, da die Inhaberin ihr immer wieder Geld leihe, „zwar keine großen Summen, aber damit macht sie [sie] von sich abhängig“.

Weitere Mitarbeiter seien in der Filiale beschäftigt, „da bin ich aber nicht sicher, ob sie darüber Bescheid wissen“. In der Hauptapotheke arbeite noch ein Apotheker unter Aufsicht, „der aber wahrscheinlich das nicht verstanden hat und leider auch nicht so gut Deutsch spricht“. Kunden könnten die Sache auch mitbekommen haben, „aber die kenne ich weder namentlich noch denke ich, dass es ein ‚normaler‘ Kunde versteht …“

Die Ermittler hatten genug Anhaltspunkte zusammen, auf Antrag der ZKG erließ das Amtsgericht Nürnberg am 2. Oktober Durchsuchungsbeschlüsse sowohl für die Räumlichkeiten der beiden Apotheken als auch der Privaträume der Inhaberin. Ihre Verteidiger legten Beschwerden gegen die Durchsuchungsbeschlüsse ein, doch weder das Amtsgericht Nürnberg noch das Landgericht Nürnberg-Fürth gaben dem Antrag statt.

Ausreichend konkrete Hinweise

Denn obwohl die Anzeige anonym erfolgt sei, sei sie äußerst detailliert gewesen: „Bereits die zitierten Erstangaben sind von außerordentlicher sachlicher Qualität, aus der zu schließen ist beziehungsweise war, dass sie erlebnisfundiert waren.“ Eine Hinweisgeberin ohne konkrete Kenntnisse hätte solche Ausführungen zu Abläufen, Strukturen und Personen nicht machen können. „Dementsprechend handelt es sich gerade nicht nur um vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen. Vielmehr sind die Angaben von beträchtlicher sachlicher Qualität, auch ohne weitere Übermittlung von schriftlichen Beweismitteln.“

Zudem habe die anonyme Person zuverlässig auf Nachfragen reagiert und in der Kommunikation zwischen ihr bekannten Umständen und solchen, hinsichtlich derer sie in Unkenntnis war, differenziert. „Eine Person, die die Beschwerdeführerin durch eine anonyme Anzeige zu Unrecht hätte belasten wollen, hätte sich so nicht verhalten.“

Die Durchsuchungen waren daher aus Sicht der Richter nicht nur zulässig, sondern auch verhältnismäßig. „Sie waren im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend, und gerade diese Zwangsmaßnahmen waren zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich. Mildere Mittel standen nicht zur Verfügung. Weitere und andere Ermittlungen – insbesondere Zeugenvernehmungen und die Anforderung schriftlicher Unterlagen – hätten den Erfolg der Durchsuchungsmaßnahme und den Aufklärungserfolg gefährden können und waren nicht in gleicher Weise geeignet.“

Und angesichts des in Rede stehenden Vorwurfes des (gewerbsmäßigen) Betrugs beziehungsweise der Beihilfe dazu war die Razzia auch angemessen. Zwar gelten besondere Voraussetzungen für Durchsuchungen bei Personen, die besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen – darunter auch Apothekerinnen und Apotheker sowie ihre Berufsgehilfen. „Dieses gilt dann nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist.“

Vernehmung ohne Ergebnisse

Die Vernehmung der benannten Zeugin habe den konkreten Sachverhalt nicht in Gänze bestätigen können. Die Angestellte habe lediglich den Verdacht bekräftigt, dass die Chefin tatsächlich Medikamente wie Ketamin ohne Rezept an ihre Kunden abgegeben habe. „Dennoch bestätigt die Aussage der Zeugin […] in einer Gesamtschau, dass in den Apotheken der Beschuldigten diverse Missstände in vielerlei Hinsicht vorhanden gewesen sein könnten, was die den Durchsuchungsbeschluss rechtfertigende Verdachtslage zwar nicht alleine, wohl aber mit dem Inhalt der anonymen Anzeige zu untermauern vermag.“

Auch eine Pharmazierätin der Regierung von Oberbayern wurde vernommen, weil diese laut der Hinweisgeberin zu einer Kontrolle in der Apotheke gewesen sein soll. Diese konnte allerdings „keinerlei wesentlichen Erkenntnisse“ beisteuern, weil es dabei offenbar um Cannabisblüten gegangenen war.

Dagegen konnten die Ermittler zur sogenannten „Rezeptabnehmerin“ weitere Informationen zusammentragen; diese soll nämlich bereits wegen Beleidigung, Diebstahl und leichter Körperverletzung polizeilich in Erscheinung getreten sein.

Die Ermittlungen laufen weiter.

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