Arzneimittelmissbrauch

Tod nach Lyrica-Mix

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Berlin -

Experten schließen auch für Deutschland eine ähnlich verheerende Opioid-Krise wie in den USA nicht aus. In Osnabrück scheint sie bereits angekommen zu sein, wie der Fall des offensichtlich an den Folgen von Schmerzmittelmissbrauch gestorbenen Ex-Junkies F. zeigt.

Sieben Jahre war Jenny R. mit F. zusammen, sie hatten einen gemeinsamen Sohn. Nach vielen Jahren der Drogenabhängigkeit sei er ganz gut mit dem Methadon-Programm zurechtgekommen, erzählte R. der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). Dann habe er Lyrica (Pregabalin) und Oxycodon entdeckt. „Er hat das Zeug genommen, um den Kopf auszuschalten“, sagt R. In kürzester Zeit sei er regelrecht aufgequollen. „Er war gar nicht mehr zurechnungsfähig.“

Vor etwa zwei Wochen fand R. ihn tot auf. Dafür könne nur das Schmerzmittel verantwortlich sein. „Lyrica und Methadon zusammen – das geht aufs Herz“, meint sie. „Das ist so, als würdest du dir eine Waffe an den Kopf halten, abdrücken und hoffen, dass keine Kugel drin ist.“ Neun Menschen aus der Drogenszene am Raiffeisenplatz seien innerhalb der letzten zehn Wochen an den Folgen des Schmerzmittelmissbrauchs gestorben, hat sie erfahren. „Mir kommt das gerade wie das reinste Massensterben vor. Sollen denn alle Junkies ausgerottet werden?“ Die Polizei Osnabrück spricht offiziell von drei Drogentoten in diesem Jahr.

Lyrica enthält den Wirkstoff Pregabalin, der seit 2004 EU-weit zugelassen ist, und kommt bei Schmerzen, Epilepsie und Angststörungen zum Einsatz. Oxycodon zählt zu Opioiden und wird unter Namen wie Oxygesic oder Oxycontin bei starken Schmerzen vertrieben. „Insbesondere zur Behandlung tumorbedingter sowie schwerer chronischer Schmerzen sind diese starken Schmerzmittel unverzichtbar“, schrieb das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage der Zeitung. Allerdings werde in der Packungsbeilage „deutlich und umfangreich darauf hingewiesen, dass eine langfristige Anwendung zu körperlicher Abhängigkeit und dem Auftreten von Entzugserscheinungen führen kann.“

Die Verschreibung werde streng überwacht, so die Behörde: „Mit intensiven Schutzmaßnahmen überwacht die Bundesopiumstelle den Weg der Betäubungsmittel von der Herstellung bis zur Apotheke und verhindert so weitgehend, dass Betäubungsmittel zu Missbrauchszwecken abgezweigt werden.“ Doch trotz „engmaschiger Überwachung“ fänden die Medikamente den Weg in die Szene und auf den Schwarzmarkt, berichtet Oliver Moch, stellvertretender Leiter des „Café Connection“, einer von der Diakonie getragenen Anlaufstelle für drogengefährdete oder drogenabhängige Menschen. Man habe den Eindruck, dass gerade Lyrica inflationär verschrieben und als eine Art Allzweckmedikament eingesetzt werde.

(Ex-)Drogenabhängigen wie F. werde es viel zu leicht gemacht, an Tabletten mit hohem Suchtpotenzial zu kommen, klagt Jenny R. Beim „schlimmsten Arzt von Osnabrück“ habe sich F. mehrmals die Woche Rezepte ausstellen lassen und dabei auch Krankenkassenkarten von Freunden und Verwandten verwendet. „Der wurde nicht mal untersucht, sondern hat von der Sprechstundenhilfe einfach das Rezept bekommen.“ Der Arzt habe zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen wollen, so die Zeitung.

In Großbritannien sei ein Zusammenhang zwischen Drogentod und Pregabalin bereits erkannt worden, sagte Peter Flüchter, Chefarzt im Suchtmedizinischen Zentrum am Ameos-Klinikum Osnabrück, der NOZ. Er plädiert dafür, Lyrica unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu stellen. So geschah es 2011 bereits mit Flunitrazepam, ein Medikament, das ähnlich schlimme Auswirkungen in der Szene gezeigt habe und seitdem fast verschwunden sei. „Sicher würde ein solches Vorgehen auch bei Pregabalin helfen“, so Flüchter.

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