Kommentar

Unverschuldet

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Berlin -

In der Beschreibung des AvP-Skandals taucht eine Vokabel immer häufiger auf: „unverschuldet“. Gemeint ist nicht die Ursache der Insolvenz – hier klingt der vom Insolvenzverwalter benutzte Begriff „Machenschaften“ nach –, sondern die Betroffenheit der Apotheken. Einige bangen um ihre wirtschaftliche Existenz. Der Umgang mit der Krise, seitens der Partner im Markt, der Politik und der Kollegenschaft, dürfte die Stimmung in der Branche nachhaltig beeinflussen, kommentiert Alexander Müller.

Bis zu 3500 Apotheken sind von der AvP-Insolvenz betroffen, das liest man mittlerweile sogar in der Lokalzeitung. Doch hier liegt schon das erste Problem in der Bewältigung: Weil der AvP-Inhaber Mathias Wettstein mutmaßlich selbst noch Überweisungen veranlasste, als der Abgrund schon in Sicht war, sind einige Apotheken glimpflich davongekommen. Sie haben ihren Abschlag für August noch bekommen. In Einzelfällen war die Ausschüttung von 80 Prozent des Vormonats sogar mehr als der Apotheke zustand. Absurd genug und mit dem Potenzial, Unfrieden zwischen den unterschiedlich Betroffenen zu schaffen.

Andere hat es voll erwischt: Sechsstellige Beträge sind die Regel, größere Verbünde oder Zyto-Apotheken haben sogar Ausfälle im Millionenbereich. Das Geld fehlt jetzt den Apotheken, obwohl sie es den Krankenkassen eigentlich nur geliehen hatten. Der Verdienst mehrerer Jahre hängt irgendwo in der Insolvenzmasse fest und ein Wiedersehen ist ungewiss. „Das sind schon Schicksale“, berichtet ein Apothekenberater, der zwei Dutzend AvP-Fälle betreut. Für mindestens eine Apotheke wird es wohl nicht weiter gehen, die eigene Insolvenz ist unvermeidlich. Das gilt für weitere Kollegen, wobei die AvP-Pleite meist nur die Schneeflocke war, die den Ast brechen lässt. Apotheken, denen es schon vorher nicht gut ging und denen jetzt niemand mehr helfen will.

Und nicht immer geht es nur um Geld: Ein Apotheker berichtet von einem befreundeten Kollegen, Sportler, Nichtraucher, der mit Verdacht auf Herzinfarkt im Krankenhaus liegt. Und in Mecklenburg-Vorpommern musste ein Betroffener vor dem angekündigten Suizid gerettet werden. Angesichts solcher Schicksale klingen die achselzuckenden Kommentare in der Tagespresse wie Hohn. Doch die Apotheker sind hier extrem aktiv, tauschen Argumente und Formulierungen für Leserbriefe und Schreiben an Politiker aus und bekommen die öffentliche Wahrnehmung in den vergangenen Tagen gedreht.

Denn es stimmt zwar, dass die Partner im Markt Hilfe anbieten – aber eben nicht allen. Wirtschaftliche schwache Apotheken werden vom Großhandel nur gegen Vorkasse beliefert, die Banken gewähren ihre Kredite je nach Prognose. Das ist betriebswirtschaftlich nachvollziehbar, lässt die versprochene Hilfe aber letztlich doch als Geschäft erscheinen. Hier bekommt der Begriff „unverschuldet“ eine ganz andere Bedeutung.

Vor allem auf die Banken fokussiert sich zusehends der Zorn der Apotheker: Nach Lage der Dinge hat sich das bei AvP engagierte Konsortium halbwegs schadlos gehalten und mit dem Kappen der Kreditlinie dann letztlich den Stecker gezogen. Inwiefern ein solches Gebaren insolvenzfest wäre, ist Sache von Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos.

Der darf die Situation jetzt im Gesundheitsausschuss schildern. Hier wird sich zeigen, was von den Festtagsreden zur Corona-Bewältigung in der Offizin übrig bleibt. Immerhin die Opposition im Bundestag – FDP und Linke – fordern Hilfe für die Apotheker und eine Neuordnung des Systems. Und der Minister kann zeigen, wie wichtig ihm eine Stärkung der Vor-Ort-Apotheken wirklich ist.

 

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