Der Fall Nawalny

Vergiftung mit Cholinesterase-Hemmer

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Berlin -

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny liegt seit mehreren Tagen mit kritischem Zustand im Krankenhaus. Der Grund: Er wurde vergiftet – wahrscheinlich mit einem Stoff aus der Gruppe der Cholinesterase-Hemmer. Das Krankenhaus in Sibirien, welches ihn zunächst behandelte, konnte entgegen der Berliner Charité, in die der Kreml-Kritiker verlegt wurde, eine Vergiftung mit dieser Wirkstoffgruppe nicht bestätigen. Cholinesterase-Hemmer kommen als tödliche Substanz bei Vergiftungen öfter zum Einsatz. Die Stoffe hemmen die Acetylcholinesterase, durch die Anhäufung des Neurotransmitters kommt es zu zahlreichen Symptomen im Körper.

Nawalny, seit Jahren einer der bekanntesten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin und der führende Kopf der liberalen Opposition, liegt aktuell in der Berliner Charité und wird auf Verdacht mit Atropin behandelt. Die Ärzte vermuten eine Vergiftung mit einem Stoff aus der Klasse der Cholinesterase-Hemmer. Bestätigt sich die Vermutung, so handelt es sich um einen erneuten Anschlag auf den Regierungskritiker – es gab bereits mehrfach Anschläge gegen seine Person. Die Charité nennt Nawalnys Zustand aktuell kritisch. Mögliche Langzeitfolgen, insbesondere für das Nervensystem, seien aktuell noch nicht abzusehen, so die Ärzte.

Therapeutisch nutzbar

Therapeutisch können Cholinesterase-Hemmer bei Alzheimer eingesetzt werden. Arzneistoffe wie Donepezil (Aricept), Rivastigmin (Exelon), Galanthamin (Reminyl) und Tacrin (Cognex) erhöhen die Konzentration von Acetylcholin durch Hemmung der Cholinesterase. Hierdurch steigern sie die kognitiven Leistungen der Patienten. Das Fortschreiten der Erkrankung kann verzögert werden. Die Wirkstoffe weisen kein gutes Nebenwirkungspotential auf. Aufgrund der starken Hepatotoxizität wurde der Wirkstoff Tacrin beispielsweise in Teilen Europas vom Markt genommen. In Amerika ist der Arzneistoff seit 2013 nicht mehr zugelassen.

Patienten, die unter Morbus Alzheimer leiden, leiden auch an einer verringerten cholinergen Erregungsübertragung im Gehirn. Ein Therapieziel ist es daher, die Menge an Acetylcholin im Gehirn zu erhöhen. Ein weiterer Therapieansatz besteht in der Imitation des Neurotransmitters. Die Ausschüttung von Acetylcholin ist durch Degeneration des Nucleus basalis vermindert. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe cholinerger Nervenzellen des Frontalhirns.

Wirkung bei Überdosierung – Einsatz als Gift

Cholinesterase-Hemmer weisen zahlreiche Nebenwirkungen auf. Bei einer Überdosierung sind diese stärker ausgeprägt und können – je nach verabreichter Menge – tödlich enden. Donepezil, Rivastigmin & Co. sind aufgrund ihrer Wirkungsweise an einer Vielzahl von Körperfunktionen beteiligt. Acetylcholin gehört zu den wichtigsten Neutrotransmittern im Körper, da er fast überall zur Reizweiterleitung benötigt wird. Der Stoff findet sich sowohl im zentralen als auch peripheren Nervensystem. Dementsprechend vielseitig sind die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei Überdosierungen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen innerhalb der Normdosis gehören: Gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, Hautreaktionen, Appetitlosigkeit, Schwindel, Tremor, Stürze, Albträume, Agitiertheit, Verwirrtheit, Angstgefühle Kopfschmerzen, Somnolenz, Müdigkeit und Asthenie, Hypertonie und Bradykardie.

Je nach Wirkstoff kann es beim Menschen bereits ab Dosierungen von wenigen Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu tödlichen Verläufen kommen. Die letale Dosis von einigen Cholinesterase-Hemmern liegt bei 10 mg/kg Körpergewicht. Zu den toxischen Effekten gehören Herzstillstand oder zentrale Atemlähmung. Als spezifisches Antidot gilt Atropin. Der Stoff hemmt die muscarinergen Wirkungen des Acetylcholins durch kompetitive Inhibition der Acetylcholinrezeptoren an der postsynaptischen Membran – die Signalübertragung in der Nervenleitung wird somit unterbrochen.

Pflanzengift und Nervengift – Akutes cholinerges Syndrom

Einzelne Vertreter der Cholinesterase-Hemmer können als Pflanzengift oder Nervenkampfgift eingesetzt werden. Als Nervengift beruht die Wirkung ebenfalls auf der Hemmung der Acetylcholinesterase. Das aktive Zentrum des Enzyms wird durch das Toxin besetzt – der Abbau des Acetylcholins wird gehemmt. In der Folge kommt es zu einem drastischen Konzentrationsanstieg des Neurotransmitters. Es kann zu einem sogenannten akuten cholinergen Syndrom, auch Toxidrom genannt, kommen. Je nach Stärke der Vergiftung kommt es zu folgenden Symptomen: Krampfanfälle, Zittern, Zucken der Muskulatur, Atemnot, Angstzustände, Bewusstlosigkeit. Der Tod tritt zumeist durch Atemlähmung ein.

 

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