Kommentar

Meckern kann jeder

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Berlin -

Wer online eine Apotheke oder Arztpraxis sucht, findet meist nicht nur problemlos Anschrift und Öffnungszeiten, sondern auch Erfahrungsberichte, Noten – und manchmal grobe Beleidigungen. Aber ist wirklich jeder Meckerkunde schlecht behandelt worden? War er überhaupt tatsächlich in der Offizin? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu den Pflichten von Bewertungsportalen ein richtungweisendes Urteil gefällt, das Chancen und Risiken birgt. Ein Kommentar von Alexander Müller.

Egal wie zuvorkommend der Service in einer Apotheke ist und wie gut das Team berät – irgendein Kunde wird immer sauer sein. In der Offizin werden Reklamationen dann mehr oder weniger höflich vorgetragen. Je nach Temperament und Streitschlichtungskompetenz lassen sich solche Unstimmigkeiten aus der Welt schaffen. Jede Reklamation ist eine Chance zur Kundenbindung, ist eine Binsenweisheit.

Aber das funktioniert nicht immer. Manche Patienten ärgern sich erst im Nachhinein über einen Vorfall in der Offizin oder Arztpraxis, andere trauen sich eine Beschwerde nicht von Angesicht zu Angesicht. Und manch einer will auch den Rest der Welt vor ähnlichen Erlebnissen bewahren und warnt deshalb online. Anonyme Bewertungsportale bieten dafür eine leicht zugängliche Plattform. Auch der Kartendienst Google Maps zeigt bei Suchtreffern Erfahrungsberichte an.

Grundsätzlich ist der Austausch positiv: Wer in einer fremden Stadt ist oder erstmals einen bestimmten Facharzt sucht, kann sich bei Jameda, Google & Co. zusätzliche Informationen einholen. Wenn man davon ausgeht, dass es sich beim Gros der Einträge um ehrliche Bewertungen handelt, ist das nicht nur ein nützlicher Anhaltspunkt für Verbraucher. Gute Apotheken können so sogar von den Empfehlungen ihrer Kunden profitieren.

Doch leider kann man den Noten und Berichten im Netz nicht hundertprozentig vertrauen. Bei Jameda haben etliche Apotheken die Bestnote von 1,0 – aber nur eine einzige Bewertung. Andere haben einen schlechten Notenschnitt und landen ganz hinten in der Liste. Bei genauerem Hinsehen beschwert sich dann ein Kunde, dass die Anfertigung einer Rezeptur eine Viertelstunde gedauert hat.

Das System krankt an seiner Relevanz: Nicht einmal alle der zehn meist bewerteten Apotheken haben bei Jameda mehr als 20 Rezensionen. Auch bei Google gibt es vielfach nur eine Handvoll Kommentare pro Apotheke. Eine negative Bewertung hat so entsprechend ein sehr hohes Gewicht – zumal man sich ohnehin seinen Frust lieber von der Seele schreibt als seine Zufriedenheit. Der BGH hat das in seiner Entscheidung berücksichtigt.

Umso schwerer wiegt es dann, wenn die Bewertung frei erfunden ist. Denn jeder kann im Internet anonym stänkern, ob missgünstiger Kollege oder grollender Ex-Mitarbeiter. Bislang konnten sich Betroffene dagegen kaum wehren. Das hat der BGH mit seiner Entscheidung nun korrigiert. Wenn der Benotete beim Portalbetreiber nachfragt, muss dieser Beweise liefern. Und zwar sehr konkrete. Eine einfache Bestätigung des Nutzers reicht nicht aus, dieser muss gegebenenfalls ein Rezept, einen Terminzettel oder Kassenbon vorlegen, um zu beweisen, dass er tatsächlich in der Praxis oder Apotheke war.

Für die Portalbetreiber ist das ein schwerer Schlag. Denn es bedeutet nicht nur einen immensen Prüfaufwand im Einzelfall, inklusive Anonymisierung der Daten und Weiterleitung an den Arzt oder Apotheker. Es besteht vor allem die Gefahr, dass sich angeschriebene Nutzer überhaupt nicht zurückmelden, um den Vorfall zu bestätigen, geschweige denn Beweismittel zu übermitteln. Dem Portalbetreiber bleibt dann nichts anderes übrig, als den Eintrag zu löschen.

Im schlimmsten Fall wird eine ehrliche kritische Stimme aus dem Netz entfernt. Der BGH hat dieses Risiko mit Sicherheit gesehen und abgewogen gegen das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Vielleicht fällt auch den Portalbetreiber etwas ein, um die Nutzer zur Mitwirkung zu animieren. Das würde die Qualität der Portale steigern.

Apotheker können das Urteil jedenfalls für sich nutzen: Bei Schmähungen gegen den eigenen Betrieb sollten sie zumindest Nachfragen beim Provider stellen. Denn negative Bewertungen im Internet sollten auch die Apotheker nicht auf die leichte Schulter nehmen – nach dem Motto: „Das guckt sich doch sowieso niemand an.“ So wie es Menschen gibt, die ihrem Ärger lieber online Luft machen, als sich persönlich zu beschweren, gibt es Nutzer dieser Plattformen, die viel auf die Meinung Gleichgesinnter geben. Oder vermeintlich Gleichgesinnter.

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