Wettbewerbsgleichheit für Vor-Ort-Apotheken

Bundestags-Gutachten: Kühlkette statt RxVV

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Berlin -

Ein Rx-Versandverbot (RxVV) hätte europarechtlich einen schweren Stand, seine Einführung in Deutschland wäre nur schwer zu begründen. Zu diesem Ergebnis kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem neuen Gutachten zur rechtlichen Durchführbarkeit eines RxVV. Er weist der Politik jedoch einen anderen Weg: Statt den Versandhandel zu verbieten, könnten Wettbewerbsnachteile für Vor-Ort-Apotheken mittels schärferer Regelungen für die Versender ausgeglichen werden.

Der europäische Binnenmarkt ist ein zartes Pflänzchen: Zölle, Aus- und Einfuhrbeschränkungen sind verboten. Damit einzelne Mitgliedstaaten solche Beschränkungen nicht durch die Hintertür einführen, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) einst den Begriff der „Maßnahme mit gleicher Wirkung“ eingeführt und meint damit regulatorische Maßnahmen, die Mitbewerber aus anderen EU-Ländern benachteiligen. Um genau diese Maßnahmen dreht sich wieder alles beim jüngsten Gutachten des Fachbereichs Europa des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Denn ein RxVV wäre dem EuGH genau unter diesem Aspekt nur sehr schwer zu verkaufen.

„Daran, dass ein Verbot des Versandhandels mit (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV und damit einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit darstellt, bestehen vorliegend keine Zweifel“, so die Bundestagsjuristen. Entscheidend, um eine solche Maßnahme dennoch durchzusetzen, wäre also die Rechtfertigung – und da wird es schwierig. Denn nur nicht-wirtschaftliche Gründe sind einer möglichen Ausnahme vom Verbot solcher Maßnahmen erfasst. Die Maßnahme dürfte außerdem „keine willkürliche Diskriminierung oder verschleierte Beschränkung darstellen und müsste verhältnismäßig sein“, so das Gutachten.

„Immer wieder wird ein solches Verbot allerdings auch zur ‚Rettung der Vor-Ort-Apotheken‘ gefordert, da diese durch die zusätzliche Konkurrenz einem erhöhten Wettbewerb ausgesetzt seien. Da wirtschaftliche oder protektionistische Gründe gerade nicht zur Rechtfertigung im Rahmen des Art. 36 AEUV geeignet sind, erscheint mithin fraglich, ob diese Zielsetzung sich als Rechtfertigungsgrund anführen ließe.“ Andererseits diene es ja auch dem Gesundheitsschutz, ein System von lokalen Apotheken erhalten zu wollen. „So hätte ein Verlust von Vor-Ort-Apotheken möglicherweise negative Effekte auf die flächendeckende medizinische Versorgung in Deutschland.“ Und Gesundheitsschutz ist anders als Protektionismus ein legitimes Ansinnen zur Begründung einer solchen Maßnahme.

Dennoch sei ein RxVV auch unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes nur sehr schwer vermittelbar. Denn zwar könne man argumentieren, dass der Versandhandel zur Ausdünnung des Systems wohnortnaher Arzneimittelversorgung beiträgt – nur gibt es den Versandhandel auch schon seit 16 Jahren und die bei seiner Einführung vorgetragenen Warnungen vor negativen Folgen hätten sich dahingehend nicht bewahrheitet. Außerdem gibt es ja noch den Versand selbst: „Gegen die Verhältnismäßigkeit des Verbots könnte außerdem sprechen, dass, unabhängig vom Eintritt negativer Folgen für die Versorgung der Bevölkerung durch die Verdrängung von Vor-Ort-Apotheken, auch ein positiver Effekt auf diese durch den Versandhandel wahrscheinlich ist. Die Möglichkeit verschreibungspflichtige Arzneimittel im Internet zu erwerben und zu sich liefern zu lassen, erhöht die Zugänglichkeit zur Versorgung.“ Summa summarum sei nicht mit dem Erfolg eines RxVV zu rechnen. „Zu einem anderen Ergebnis könnten Erkenntnisse führen, die negative Auswirkungen des Versandhandels auf die Zugänglichkeit und Qualität medizinischer Versorgung nachweisen. Von einer entsprechenden Gefährdung dürfte allerdings, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungen der letzten 16 Jahre, zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht auszugehen sein.“

Was also tun? Um gleiche Bedingungen für Vor-Ort- und Versandapotheken zu schaffen, nehmen die Bundestagsjuristen zwei spezielle Regulierungsfelder unter die Lupe: die Kühlkette und den Botendienst. So könnte in Anlehnung an die die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) auch der Versand mit der Auflage versehen werden, dass die Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass ihre Qualität und Wirksamkeit erhalten bleibt. Das wäre zwar prinzipiell auch eine Maßnahme gleicher Wirkung – allerdings hat der EuGH in seiner bisherigen Rechtsprechung schon ausgeführt, dass es das nicht ist, wenn es sich um „nicht diskriminierende Verkaufsmodalitäten“ handelt. Ein Kühlkettennachweis wäre das: „Da auch die inländischen Marktteilnehmer einen entsprechenden Nachweis erbringen müssen, liegt zudem grundsätzlich keine Diskriminierung vor.“ Und selbst wenn der EuGH dennoch eine Maßnahme gleicher Wirkung darin sehen sollte, könnte die Kühlkettenregelung eindeutig mit dem Gesundheitsschutz begründet werden.

Ähnlich sähe es aus, wenn die Versender sich an die Regeln des Botendienst halten müssten, also die Auslieferung durch pharmazeutisches Personal. Zwar dürfte dabei nicht über die Regelungen der ApBetrO hinausgegangen werden, aber: „Da Versandapotheken, anders als Vor-Ort-Apotheken, gerade nicht (ausschließlich) standortnah versenden, wären diese durch eine entsprechende Vorschrift zudem stärker beeinträchtigt“, so das Gutachten. „Während Vor-Ort-Apotheken ihre Botendienste nach § 17 ApBetrO je nach Bedarf auch durch ihr reguläres pharmazeutisch ausgebildetes Personal ausführen können, erfordert dies für Versandapotheken, insbesondere solche mit Sitz im Ausland, einen ungleich höheren logistischen und personellen Aufwand.“ Auch hier wäre wieder die Frage der Begründung entscheidend, da davon auszugehen sei, dass es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt. Doch so weit konnte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages nach eigener Darstellung noch nicht gehen: „Eine Vornahme der Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche wohl ausschlaggebend für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit wäre, ist ohne Kenntnis der konkreten Ausgestaltung vorliegend allerdings nicht möglich.“

Dass nun ausgerechnet die Regulierung der Versender in den Mittelpunkt rückt, dürfte kein Zufall sein. Fast zeitgleich mit dem RxVV-Gutachten veröffentlichte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages Anfang September ein weiteres Gutachten zum Arzneimittelversandhandel aus dem EU-Ausland, das sich konkret mit der Aufsicht über DocMorris & Co. befasste – und zu dem Ergebnis kam, dass dort eine „systemimmanente Überwachungslücke“ bestehe.

Dazu haben sich die Bundestagsjuristen die sogenannte Länderliste angesehen, in der das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diejenigen Staaten aufführt, deren Regulierungsniveau im Arzneimittelrecht dahingehend ausreichend dem deutschen gleicht, dass ein Versand von Arzneimitteln nach Deutschland zulässig ist. „Rechtscharakter und Bedeutung dieser Liste sind streitig“, so die Gutachter. Und ein Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten zeigt dem Dokument zufolge, dass die Listung eines Landes keineswegs die Unbedenklichkeit des Arzneimittelversands von dort bestätige. Denn im niederländischen Apothekenwesen würden durchaus andere Zustände herrschen als im deutschen: „Legt man lediglich das geschriebene Recht zugrunde, ist festzustellen, dass die dortigen gesetzlichen Vorschriften zum Arzneimittelversand den deutschen Regelungen nicht entsprechen, da das niederländische Recht keine dem deutschen Recht vergleichbaren Sicherheitsstandards und -konzepte vorsieht.“ So sei der Versandhandel in den Niederlanden nicht an den Betrieb einer Präsenzapotheke gekoppelt. „Auch trifft das niederländische Recht keinerlei spezielle Regelungen zur Qualitätssicherung beim Arzneimittelversand.“

Bliebe also nur, selbst unter die Lupe zu nehmen, ob die Gegebenheiten vor Ort einen Versand entsprechend den deutschen Vorschriften gewährleistet. „Ob dies der Fall ist, kann de facto nicht beantwortet werden. Eine Überwachung der in Deutschland maßgeblichen Bestimmungen findet weder von deutscher noch von Seite eines EU-Mitgliedsstaates statt.“ Ein Verstoß gegen deutsches Apothekenrecht könne deshalb allenfalls in einem konkreten Gerichtsverfahren nachvollzogen werden. „Nach derzeitiger Gesetzeslage ist nicht davon auszugehen, dass sich ausländische Apotheken behördlichen Kontrollen aktiv ‚entziehen‘. Vielmehr scheitert eine Kontrolle an fehlenden länderübergreifenden Kontrollmechanismen.“

 

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