Apothekermangel auf dem Land

Ausländische Apotheker: Betreute Einwanderung

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Berlin -

Überalterung, Landflucht, schlechte Infrastruktur: Apothekeninhabern in ländlichen Regionen fällt es zusehends schwerer, Approbierte für ihre Offizin zu finden. Immer mehr hoffen deshalb auf den Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland. Doch der Weg nach Deutschland ist schwer – umso mehr, wenn man in einem Gesundheitsberuf arbeiten will, der Examen und Genehmigungen voraussetzt. Eine Leipziger Agentur beginnt deshalb nun, unabhängig von den Behörden Apotheker aus aller Welt bei der Einwanderung zu unterstützen. Sie bietet den einen Hoffnung auf ein besseres Leben und den anderen qualifizierte Mitarbeiter.

Dass Mohammed Behairy nicht aus Deutschland kommt, hört man ihm kaum noch an; seine Sätze sind geschliffen und pointiert. Seit über 20 Jahren lebt er in Sachsen, er sei hier „daheeme“, wie er in bestem Dialekt sagt. Wie so oft war es die Arbeit, die ihn her zog, und die Liebe, die ihn hier hielt. Der gebürtige Ägypter hat in Kairo Hotelmanagement studiert und 1996 die Chance wahrgenommen, über ein bilaterales Programm zur dualen Ausbildung nach Deutschland zu kommen. Er landete im sächsischen Altenburg, wo er nicht nur einen Job, sondern auch eine Frau fand. Sie heiraten am Nil und kehren 1997 gemeinsam nach Deutschland zurück. Behairy arbeitet erst in der Gastronomie, will aber schnell mehr und gründet 2004 unter dem Namen Meineagentur24 sein eigenes Unternehmen. Heute lebt er in Leipzig, ist Arbeitgeber mit acht Festangestellten, 14 Honorarkräften und einem Netzwerk von mehreren hundert Kooperationspartnern – eine Einwanderungsgeschichte wie aus dem Bilderbuch.

Gerade deshalb kann der 42-Jährige ein Lied davon singen, wie schwer es oft ist, hier Fuß zu fassen. „Die erste Zeit war sehr hart“, resümiert er. Dass er ausgerechnet Ende der 90er-Jahre in Ostdeutschland landete, war nach seinen Erinnerungen jedoch weniger ein Problem als vielmehr eine Chance. Er sei zwar oft schief angeguckt worden, Ärger mit Nazis habe er aber nie gehabt. „Da war Altenburg relativ normal“, sagt er trocken. „Die Zeiten waren nicht ganz so schlecht, wie die Medien oft behaupten.“ Andere Araber gab es allerdings auch nicht, was ihn dazu gezwungen habe, sich schnell auf die deutsche Sprache und Kultur einzulassen. „In den ersten zwei, drei Jahren kostet das viel Anstrengung, aber irgendwann kann man dann sagen, dass man hier zu Hause ist.“

Behairy weiß also, was Einwanderer hierzulande an Hilfe brauchen – und was man hierzulande an Einwanderern braucht. Deshalb begann er 2004 mit seiner Agentur, Ärzte und Pflegekräfte nach Deutschland zu vermitteln. Beim beruflichen und privaten Neuanfang unterstützt er sie mit einem Netzwerk, zu dem unter anderem Anwälte und Steuerberater gehören, die bei Behördengängen und Antragsstellungen helfen. 1630 Mediziner und Pfleger hat er so nach eigenen Angaben seit 2004 nach Deutschland geholt. Unterstützung von staatlicher Seite erhalte er dabei keine, sagt er: „Wir machen alles selbst.“ Auf die Idee, nicht nur Ärzte, sondern auch Apotheker hierher zu lotsen, ist er jedoch erst vor Kurzem gekommen.

„Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass in Deutschland ein großer Bedarf an Apothekern herrscht“, erzählt er. Es waren Gespräche mit Vertretern der Großhändler Noweda und Phoenix, die zu einem Umdenken geführt haben. In Behairy reifte die Idee, sein Geschäftsmodell auf Pharmazeuten auszuweiten und die vor allem in den ländlichen Raum zu vermitteln, wo es Inhabern zusehends schwerer fällt, qualifiziertes Personal zu finden. Doch dabei gibt es einiges zu beachten: „Als Humanmediziner kann man prinzipiell überall auf der Welt gleich arbeiten. Als Apotheker hingegen muss man sehr viele gesetzliche Regelungen und Bestimmungen kennen“, erklärt er.

Hier kommt Behairys Agentur ins Spiel: Sie holt die Pharmazeuten nach Deutschland, schult sie, damit sie eine deutsche Approbation erhalten, und vermittelt sie an lokale Apotheken, wo sie zuerst ein einjähriges Praktikum absolvieren und anschließend übernommen werden. Ein Netzwerk aus Partnern in mehreren Ländern rekrutiert dafür vor Ort Kandidaten, die mindestens fünf Jahre Berufserfahrung haben. In einem Vorstellungsgespräch müssen die Interessenten dann einen Katalog von 49 Fragen abarbeiten, in denen es nicht nur um fachliche Qualifikationen, sondern auch um die persönliche Eignung geht. So soll sichergestellt werden, dass sie willens und fähig sind, sich in einem anderen Land zurechtzufinden. In der Regel sei das jedoch das kleinste Problem: „Es gibt kaum einen Menschen, der nicht anpassungsfähig ist“, sagt er leicht süffisant.

Die Nachfrage sei bisher groß, auf der Warteliste stehen unter anderem Menschen aus Brasilien, Ägypten, Tunesien, Kolumbien und den Philippinen. Für den ersten Kurs soll eine Gruppe von 16 Teilnehmern ausgesucht werden. „Mehr wäre pädagogisch unsinnig, weniger wäre nicht wirtschaftlich“, so Behairy. Bevor es nach Deutschland geht, erwartet er jedoch, dass die Kandidaten pauken: Sprachniveau B2 soll schon im Heimatland erworben werden. Im Mai sollen die ersten Kurse in den Heimatländern beginnen und ab Februar 2019 soll es dann in Deutschland weitergehen. Hier angekommen, wird gleich weiter gepaukt: Ein Jahr Vorbereitungskurs wartet auf die Kandidaten. Neben fachsprachlichen Kenntnissen stehen auch deutsche Gesellschaft, Kultur und Politik auf dem Programm sowie das nachzuholende Fachwissen, das für die Anerkennung der Approbation notwendig ist.

„Direkt vor der Einreise stellen wir einen Antrag auf Anerkennung der Approbation. Der wird in der Regel abgelehnt“, erklärt er, „aber wir erhalten dann von der Behörde einen Defizitbescheid, anhand dessen wir feststellen können, was den Teilnehmern noch beigebracht werden muss.“ Den Antrag für die Kenntnisprüfung zur Feststellung der Gleichwertigkeit stellt der Kandidat dann mit Hilfe der Agentur direkt nach Beginn des Praktikums. „Das dauert dann so drei bis fünf Monate, die Prüfung hat er also mitten im Praktikum.“

Wenn alles glatt läuft, sind alt- und neudeutscher Apotheker dann nach zwei Jahren am Ziel: Der eine ist approbiert, der andere hat den lang gesuchten Nachfolger. Bis dahin müssen allerdings auch Kosten gestemmt werden: 3000 Euro muss ein Teilnehmer für den Kurs bezahlen, 6800 die Apotheke. Hinzu kommen im ersten Jahr 8640 Euro Lebenshaltungskosten für die Approbationsaspiranten – die Zahl basiert auf Angaben der Ausländerbehörde.

Doch Behairy beeilt sich zu versichern: Dafür gebe es allerdings auch eine Erfolgsgarantie. Denn sollte der Teilnehmer den Kurs abbrechen oder der Arbeitsbeginn aus anderen Gründen nicht zustande kommen, dann hafte seine Agentur vollumfänglich dafür. Im zweiten Jahr muss die Apotheke dann noch einmal 800 Euro im Monat für den Praktikanten ausgeben – „aber der arbeitet dann ja auch schon“. Eine einmalige Provision für die Agentur sei nicht fällig. Erst nach dem Praktikum und der Probezeit will Behairy von der Apotheke drei Jahre lang 10 Prozent des Monatsgehalts – aber nur so lange der Apotheker dort fest angestellt ist. „Sollte er kündigen, rausfliegen oder anderweitig ausfallen, muss die Apotheke nicht mehr zahlen“, versichert der Geschäftsmann. „So wollen wir dem deutschen Apotheker die Gewissheit geben, dass der Teilnehmer wirklich bleibt.“

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