LABOR-Debatte #27

Schlafmittel bei Kindern: Große Skepsis

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Berlin -

Wenn die eigenen Kinder nicht schlafen wollen, ständig schreien und für schlaflose Nächte sorgen, führt das häufig zur Verzweiflung der Eltern. Nicht selten führt dies dazu, dass sie deshalb in der Apotheke nach Arzneimitteln fragen. Können Antihistaminika weiterhelfen? Viele Apotheker und PTA sehen den Einsatz von Medikamenten bei Säuglingen und Kindern kritisch, wie die aktuelle LABOR-Debatte zeigte. Auch Kinderärzte sind skeptisch.

Wie aus diversen Internetforen ersichtlich wird, nutzen manche Eltern die Nebenwirkung von Antihistaminika wie Dimetinden (Fenistil) und Dimenhydrinat (Vomex, Vomacur) aus, um ihre Kinder ruhig zu stellen. Für die Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern gibt es derzeit nur ein Präparat, das bei dieser Indikation zugelassen ist: Sedaplus Saft von CNP Pharma, das den Wirkstoff Doxylaminsuccinat enthält.

Das Arzneimittel kann ab dem 6. Lebensmonat eingesetzt werden. Säuglinge erhalten 2,5 ml (6,25 mg Wirkstoff) pro Dosis, Kleinkinder bis zu 5 ml (12,5 mg Wirkstoff). Das Produkt ist derzeit noch rezeptfrei in der Apotheke erhältlich, wird aber bald in der Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern unter die Verschreibungspflicht gestellt.

Die Änderung der Verkaufsabgrenzung begrüßt auch Professor Dr. Thomas Erler, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums Westbrandenburg in Potsdam. „Man kann nicht ausschließen, dass Eltern die Substanz ungebremst einsetzen und möglicherweise falsch dosieren.“ Denn bei Kleinkindern sei schnell eine Überdosis möglich, die zu Nebenwirkungen wie Atemstillstand führen könne.

Erler hat Schlaflabore aufgebaut und bietet Ermächtigungssprechstunden an. Aus der Praxis weiß er, dass viele Eltern Probleme mit dem Schlaf der Kinder haben. „Die Indikation ist im Kindesalter nicht gegeben“, sagt er. Vielmehr müsse man einsehen, dass Erwachsene und Kinder unterschiedliche Schlafrhythmen haben. „Kinder müssen das Schlafen erst erlernen“, erklärt der Experte. „Dieser Entwicklungsprozess kann zwei bis drei Jahre dauern.“ Während bei Erwachsenen der Schlaf einer zirkadianen Rhythmik unterliege, würden die Schlaf-Wach-Rhythmen bei Säuglingen anfangs eher von Hunger getriggert.

Wenn Eltern ihren Kindern Schlafmittel, also ein Medikament verabreichen, impliziert dies das Vorliegen einer Krankheit. Das leitet sich aus der Begriffsdefinition für „Arzneimittel“ ab. „Das Kind deckt zwar seinen täglichen Schlafbedarf noch nicht durch eine längere, zusammenhängende Schlafphase ab, es ist in dem Sinne jedoch nicht krank“, sagt Erler. Eine Splittung des Schlafbedarfs ist am Anfang des Lebens eine altersentsprechende Situation. Ziel sei es in erster Linie, eine Synchronisation der elterlichen und kindlichen Schlafrhythmen zu erreichen.

Antihistaminika wie Doxylamin beeinflussen den natürlichen Schlafrhythmus. „Es wird ein künstlicher Schlaf gefördert, der wiederum einen künstlichen Schlafrhythmus erzeugt.“ Dies sei kontraproduktiv. Denn die natürliche Taktgebung werde durch das Licht bestimmt. „Ohne Licht gibt es keinen Effekt auf die Zirbeldrüse und die Melatoninausschüttung unterbleibt“, erklärt Erler. Säuglinge und Kinder hätten mehr REM- als Non-REM-Schlaf (Tiefschlaf). Mit dem Einsatz von Schlafmitteln werden die Tiefschlafphasen auf Kosten des REM-Schlafs verlängert. Der REM-Schlaf sei aber sehr wichtig für die Gehirnentwicklung der Kinder, die Synapsen würden sich in dieser Phase vernetzen. „Die Langzeitfolgen beim Einsatz von Schlafmitteln bei Kindern sind unklar. Es liegen dazu bisher keine eindeutigen Daten vor“, ergänzt Erler.

Nach Ansicht des Mediziners muss die Schlafhygiene verbessert werden, statt dem Kind Medikamente zu geben, denn Arzneimittel seien keine Lösung. „Damit die Kinder den Tag-Nacht-Rhythmus erlernen können, sollte die Hauptaktivität am Tage und im Hellen passieren“, rät der Experte. „Abends sollte auf Aktivität verzichtet werden.“ Das Motto heiße: „Tag ausklingen lassen“.

Zudem sollten die Kinder abends keine großen und üppigen Mahlzeiten zu sich nehmen. Auch sei ein tägliches Einschlafritual sehr hilfreich. „Der optimale Schlafplatz ist dunkel und kühl“, sagt Erler und weist darauf hin, dass Computer und sonstige technische Geräte in der Umgebung kontraproduktiv seien. „Diese strahlen blaues Licht aus, dass bekanntlich die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin unterdrückt.“ Eltern sollten Neugeborene zum Beispiel auch tagsüber nicht im Dunkeln schlafen lassen, denn das sehe der Rhythmus der Erwachsenen nicht vor.

Hilfe suchenden Eltern rät er, dass sich die Partner bei der nächtlichen „Wache“ abwechseln und sich Unterstützung bei der Familie holen. „Eltern müssen die neue Schlafsituation auch erlernen. Oft haben sie im Vergleich zu den Kindern das größere Problem.“

Auch im LABOR waren die Diskutanten skeptisch, was den Einsatz von Schlafmitteln bei Kindern angeht: „Schlafmittel für Kinder sind ein absolutes NoGo!“ Es gebe immer einen Grund, weshalb Kinder schlecht schliefen – und diese Gründe müsse man suchen. „Man muss auch der Ursache einfach auf den Zahn fühlen und nicht einfach zuknallen mit irgendwelchen Tabletten/Säften“, pflichtete eine weitere Nutzerin bei.

Ein Besuch beim Kinderarzt sei unerlässlich, damit dieser die Ursachen herausfinden könne, schrieb eine andere Kommentatorin. Zur Überbrückung sei allenfalls etwas Homöopathisches angezeigt. So könne man die Eltern unterstützen, da sie sich mit ihrem Problem ernst genommen fühlten. „Das zeigt oft auch schon große Wirkung.“ Auch eine Schlafberatung sei empfehlenswert, die gebe es mittlerweile vielerorts.

„Der Leidensdruck mag hoch sein und ich kenne es aus der eigenen Erfahrung nur allzu gut, dass man als Eltern nicht schlafen kann, weil die Kinder vollkommen am Rad drehen“, so ein Apotheker. „Trotzdem haben wir unseren Kindern nie irgendwelche Schlafmittel gegeben. Liebe uns Zuneigung haben ausgereicht. Manchmal auch das Übernachten bei Mama und Papa (was viele Eltern als unmöglich empffinden).“

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