Temperaturkontrolle

„Diesen Wildwuchs würde man nicht erwarten“

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Berlin -

Die Großhändler haben seit Einführung der EU-Richtlinie zur Good Distribution Practice (GDP) viel in ihre Flotte investiert. Trotzdem zeige die Temperatur- und Feuchtigkeitskontrolle in der Praxis noch deutliche Schwächen auf, so Andreas Biermann, Leiter Logistik, Ver- und Entsorgung bei der Dekra Certification. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC spricht er sich für einheitliche Vorgaben und zertifizierte Kontrolleure aus. Schwachstellen beobachtet er etwa bei den Subunternehmern der Großhändler, aber auch im Versandhandel mit Arzneimitteln.

ADHOC: Hat die Arzneimitteldistribution ein Temperaturproblem?
BIERMANN: Es gibt keinen akkreditierten Standard. Die Checklisten und Leitfäden für GDP sind zwar vergleichbar etwa mit der Lebensmittelüberwachung. Aber der Unterschied besteht darin, dass die Zertifizierung nicht einheitlich ist. Das betrifft etwa die Ausbildung der Auditoren – und ihrer Kontrolle. Dieser Wildwuchs ist etwas, das man in der Pharmawelt nicht unbedingt erwarten würde.

ADHOC: Wo sind die Schwachstellen?
BIERMANN: Man müsste die ganze Lieferkette im Blick behalten: Relativ problemlos sind die Bedingungen bei den Wirkstofflieferungen an die Hersteller, weil diese Eingangskontrollen durchführen. Sie selbst garantieren dann für die Qualität bis an das Werktor. Aber wie werden die korrekten Transportbedingungen für die Fertigware im Container auf dem Schiff oder im Flugzeug nachvollziehbar sichergestellt? Probleme können an jedem Punkt der Lieferkette auftreten. Das Ziel muss es deshalb sein, die Prozessanforderungen sehr viel genauer zu definieren.

ADHOC: Und dazu gibt es keine Vorgaben?
BIERMANN: Der Hersteller kann in einem Lastenheft mit seinem Logistiker regeln, welche Fahrer eingesetzt werden und wie diese ausgebildet sind. Werden jedoch Subunternehmer eingesetzt, müsste deren Überwachung sichergestellt werden. In Deutschland überprüfen einige Regierungspräsidien nur die Großhändler selbst, aber nicht deren Subunternehmer. Ich sage nicht, dass die Lieferqualität generell schlecht ist, aber es gibt sicherlich noch Schwachstellen.

ADHOC: Wo sehen Sie Qualitätsunterschiede?
BIERMANN: Manche Logistiker behelfen sich mit einer Kühlbox und entsprechenden Aggregaten. Dann ist die Ware zwar gekühlt – aber bei welcher Temperatur? Andere haben immerhin einen Schreiber in den Kühlbehältern, der aufzeichnet und eventuell ausgewertet werden kann. Im digitalen Zeitalter wäre es aber technisch ohne Weiteres möglich, eine Online-Überwachung der Temperatur zu gewährleisten. Zum Beispiel liefern Logistiker für Schnellrestaurants auf diese Weise aus – teilweise mit drei verschiedenen Kühlbereichen in den Fahrzeugen.

ADHOC: Wieso ist die Lebensmittelbranche weiter?
BIERMANN: In diesem Bereich machen die Händler mit ihrer Marktmacht den Herstellern Vorgaben, dass und wie sie sich zertifizieren lassen müssen. Der Pharmamarkt ist nicht von diesen Handelsoligopolen geprägt. Hinzu kommt ein sehr einfacher Punkt: Lebensmitteln sieht man es meistens an, wenn sie nicht mehr gut sind. Ob aber ein Arzneimittel seine Wirkung verloren hat, kann man mit bloßem Auge in der Regel nicht erkennen. Deshalb müssten die Vorgaben und Kontrollen für die Pharmalogistik eigentlich sehr viel strenger sein.

ADHOC: Ist es dann nicht eine Farce, dass Apotheken die Arzneimittel temperaturgerecht lagern?
BIERMANN: Nur auf den ersten Blick. Allerdings führen Apotheken selbst Kontrollen der Medikamente durch und sie sind zum Teil zertifiziert. Es ist gut, hier einen hohen Standard zu haben. Und Stück für Stück zieht jetzt der Rest der Lieferkette nach. Aber das braucht sicherlich noch seine Zeit.

ADHOC: Ist der Arzneimittelversand ein Sicherheitsrisiko?
BIERMANN: In diesem Bereich auditieren wir bisher nicht. Aber es geht natürlich nicht an, dass Versandapotheken den Gefahrenübergang gewissermaßen „an der Rampe“ sehen und der Rest der Auslieferung aus dem Blick gerät. Jeder Versender müsste seine Logistiker verpflichten, die Transportregeln einzuhalten. Leider ist die Logistik regelmäßig ein Posten, bei dem schnell der Rotstift angesetzt und gespart wird – auf Kosten der Qualität. Bereits gut ausgerüstete Unternehmen haben sicher ein großes Interesse daran, dass die Qualität in der Branche insgesamt erhöht wird.

ADHOC: Wieso sollen Unternehmen investieren, wenn sie die Vorgaben auch umgehen können?
BIERMANN: Es tut sich etwas, für harte Schritte bei der Umsetzung ist es vielleicht noch zu früh. Aber die Branche muss merken, dass die Lieferkette neu strukturiert werden muss. Das ist ein wechselseitiger Prozess: einheitliche Standards, entsprechende Umsetzungspläne zur Aufrüstung und „kalibrierte“ Auditoren, die nach festgelegten Standards zertifizieren.

ADHOC: Und wie ließe sich das erreichen?
BIERMANN: Ein Arbeitskreis wäre zumindest für die Auslieferung in Deutschland sinnvoll. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) wäre eine Option, um einheitliche Standards durchsetzen zu können. Wir als Dekra, der TÜV und die anderen Player bei der Zertifizierung müssten sich ebenfalls entsprechend überwachen lassen. Doch hierfür muss das Bewusstsein über die Mängel beim Versand von Arzneimitteln noch steigen.

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