Digitalisierung

Medikura: Nebenwirkungen per App

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Berlin -

Beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gingen allein im ersten Halbjahr 2017 über 32.000 Meldungen zu Arzneimittelnebenwirkungen ein – doch nicht einmal 7000 davon kamen von den Patienten selbst. Denn wer eine Nebenwirkung melden will, muss sich erst einmal durch einen Wust an Formularen kämpfen. Das ist nicht gerade nutzerfreundlich und schlecht für die Datengrundlage, was wiederum die Verlässlichkeit der Risiko-Angaben beeinträchtigt. Ein Münchner Start-up hat sich vorgenommen, das zu ändern.

Die Idee für das Start-up kam nicht aus der Theorie: Anlass war eine Mandelentzündung, die sich Gründerin Friderike Bruchmann 2015 eingefangen hatte. „Ich habe ein normales Breitbandantibiotikum erhalten und mir nichts dabei gedacht“, so die promovierte Betriebswirtin. „Doch dann hatte ich mit ziemlich starken Nebenwirkungen zu kämpfen, bis hin zu Wahrnehmungsverlust und Sichtfeldeinschränkung“. Im Beipackzettel hatte sie gelesen, dass man Nebenwirkungen beim BfArM melden kann – das zugehörige Online-Formular stellte sich jedoch als erhebliches Hindernis heraus, denn es ist kompliziert und unübersichtlich. „Also habe ich es sein lassen. Später habe ich mich dann geärgert, dass ich die Nebenwirkungen nicht gemeldet habe, denn ich bin ein idealistischer Mensch.“

Zwei Jahre dauerte es, dann war aus dem Frust über das BfArM-Meldeverfahren ein eigenes Unternehmen geworden. Medikura, so der Name, baut derzeit die Plattform Nebenwirkungen.de auf, die Patienten, Ärzte und Hersteller in einem System verbindet und Nebenwirkungsmeldungen anwenderfreundlich machen will. Dabei soll nicht nur die Handhabung vereinfacht und beschleunigt, sondern auch der Kommunikationskanal in beide Richtungen geöffnet werden. Denn sowohl über die Web-Anwendung als auch die geplante App sollen Patienten mit den Herstellern kommunizieren und sich zu Nebenwirkungen beraten lassen können.

„Wir sind quasi eine Art Firewall“, erklärt Bruchmann. Die Patienten können einerseits ihre Nebenwirkungen melden, bald aber auch pseudonymisiert von den Herstellern beraten lassen. Die sollen es auch sein, die langfristig für die digitale Infrastruktur bezahlen, über Werbeanzeigen oder ähnliches will sich das Unternehmen nämlich nicht finanzieren. „Wir wollen keine Werbeplattform sein, sondern vom Marketing unabhängig.“

Doch auch in die Krankenkassen als Multiplikatoren setzt Bruchmann Hoffnung: „12 Prozent aller Notfälle werden durch Nebenwirkungen verursacht. Das kostet die Kassen 1,3 Milliarden Euro im Jahr“, erklärt sie. Ein verbessertes Meldesystem – das dann auch zu einer besseren Risikoabschätzung und so eventuell zu weniger Notfällen durch Nebenwirkungen führen könnte – läge also auch in deren Interesse. Eine andere naheliegende Zielgruppe wäre Apotheker als diejenigen, die bei der Abgabe den direkten Kontakt zu den Patienten haben.

Dazu sind jedoch auch einige Widerstände zu überwinden, denn die bisherigen Stellen, an die Nebenwirkungsmeldungen gehen – BfArM und die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft – sind wenig begeistert von der Geschäftsidee. Das BfArM sieht man keinen wirklichen Bedarf nach neuen Angeboten. Das von Medikura erscheine „zumindest in der bisherigen Ausbaustufe aus Sicht des BfArM nicht geeignet, einen wesentlichen Beitrag“ zu einer besseren Erfassung von Nebenwirkungen beitragen zu können.

Davon will Unternehmensgründerin Bruchmann nicht abschrecken lassen: „Wir sind uns sicher, dass wir das durchbringen. Aber es wäre schön, wenn es einem nicht immer so schwer gemacht würde“, zeigt sie sich verhalten zuversichtlich. Fördergelder von der Bundesregierung und dem Europäischen Sozialfonds sind derzeit eine große Stütze, derzeit läuft die Web-App an und ab Mai oder Juni soll auch die Rückkopplung mit den Herstellern verfügbar sein. Nun hofft Bruchmann auf die Vernetzung mit anderen Multiplikatoren, insbesondere Apothekern, die die App als zusätzliche Serviceleistung anbieten können. Das Angebot soll so bekannter gemacht und die nötige kritische Masse erreicht werden: „Der Traum wäre es natürlich, dass wir irgendwann auf dem Beipackzettel landen.“

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