Höflichkeit am HV-Tisch

Wenn dem Apotheker die Hutschnur platzt

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Berlin -

Ungewöhnliches Facebook-Posting eines Apothekers im Nachtdienst: „Es gibt ja doch noch wohlerzogene Menschen. Hat mich doch gerade im Notdienst jemand mit ‚Guten Abend, Herr Apotheker‘ begrüßt“, teilt Andreas Binninger gerührt dem Rest der Welt mit. Ein Anruf bei dem Düsseldorfer Apotheker zum brisanten Thema Höflichkeit in der Offizin. Denn nicht jeder Kunde ist so freundlich wie dieser.

„Ich war total verdutzt, es war ein junger Mann Anfang 30. Das ist man heutzutage ja gar nicht mehr gewöhnt“, sagt der Besitzer der Neander-Apotheke. Er und seine Mitarbeiter versuchen stets höflich zu bleiben, auch wenn das bei einigen Kunden eine Herausforderung ist. „Manche kommen, nehmen sich einfach die Apotheken Umschau und gehen wieder.“ Kein „Guten Tag“, kein „Auf Wiedersehen“ und schon gar kein „Danke“.

Das ärgert den Pharmazeuten. „Es ist seit einigen Jahren ein Trend. Worte wie ‚Bitte‘ oder ‚Danke‘ werden im Gespräch einfach ausgespart“, hat er erfahren. Es handelt sich allerdings nicht nur um ein Phänomen der Offizin. „Ich glaube, es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem im Einzelhandel.“

Sein Erste Hilfe-Tipp: „Ich versuche, weiter freundlich zu bleiben.“ Es gibt allerdings Situationen, in denen er sich nicht mehr zur Höflichkeit verpflichtet fühlt. Eines Tages platzte sogar diesem freundlichen Apotheker die Hutschnur: „Einmal stand ein Kunde vor mir. Er telefonierte und reichte mir nur das Rezept. Währenddessen telefonierte er weiter. Für mich ist das ein Verhalten, das für den Gegenüber abwertend ist. So ein geringschätziges Auftreten lasse ich mir nicht bieten.“

Binninger sagte zu dem Kunden, der scheinbar mit seinem Smartphone verwachsen war: „Wenn Sie Zeit für mich haben, dann habe ich auch Zeit für Sie.“ Touché! Das saß. Der Mann legte auf, ein bisschen betreten. „Es ist auch unhöflich den anderen wartenden Kunden gegenüber“, sagt Binninger. Seine Unterstützer waren die anderen Kunden, zum Teil Stammkunden, die nur aufmunternd lächelten und sich so solidarisch mit dem Apotheker zeigten. Manchmal ist ein bisschen soziale Kontrolle gar nicht schlecht.

Zur Unhöflichkeit kommt bei so einem Erlebnis in der Apotheke noch ein weiterer Aspekt. „Man möchte den Kunden beraten, aber das ist in so einer Situation natürlich nicht möglich. Oft ergeben sich bei einem Rezept Fragen, die man stellen möchte oder muss.“ Parliert das Gegenüber dann über seine Dinner-Pläne oder flirtet die Liebste an, ist das unmöglich. Binningers Überzeugung lautet: „Wenn Grenzen überschritten werden, sollte man sagen, dass es so nicht geht. Verkaufen ist ein Geben und Nehmen. Man macht oft die Faust in der Tasche, aber das geht nicht immer.“

In solchen Situationen ist dem Düsseldorfer Apotheker auch die Internet-Konkurrenz egal. Sollen die ungezogenen Kunden doch online bestellen! Aber dann bitte schön nicht auch noch hinterher den Apotheker um Rat fragen. Er erzählt von einem besonders dreisten Erlebnis: „Eine Kundin hatte im Internet eine Rezeptur einer Versandapotheke bestellt. Mit der kam sie zu mir, um sich zu vergewissern, dass sie die auch problemlos einnehmen könne. Ich teilte ihr mit, dass ich dafür nicht zuständig sei und bat sie freundlich, doch dort um Rat zu fragen, wo sie bestellt hatte.“

Der Kundin gefiel das gar nicht, sie wurde unhöflich: „Sie teilte mir mit, dass doch jeder wüsste, dass man seinen Arzt oder Apotheker fragen solle“, sagt Binninger. Seine Antwort: „Wenn man Sie online nicht korrekt beraten hat, bin ich dafür nicht zuständig.“ Die Kundin verließ wutentbrannt die Offizin.

Gibt es eigentlich Traumkunden? In Düsseldorf schon. „Wir haben ganz viele Stammkunden, die sind sehr freundlich. Für mich ist ein Traumkunde ein Mensch, der mit seinen Mitmenschen offen interagiert.“ Und wenn ein Stammkunde kommt und sich herzlich für die erfolgreiche Beratung vom letzten Mal bedankt, schlägt das Herz eines jeden Apothekenmitarbeiters höher. Weil er dann weiß, dass er alles richtig gemacht hat.

„Bei uns müssen die Kunden nicht immer unbedingt mit einem Verkaufsabschluss aus der Tür gehen. Wir beraten auch gerne nur“, sagt Binninger. Was ihn zudem an Unhöflichkeit nervt: „Es gibt Kunden, die borniert reagieren, wenn man sie freundlich beraten möchte. Sie wollen schnell in die Apotheke, einkaufen und schnell wieder raus. Dabei müssen wir fragen, für wen das Medikament ist und ob sie sich damit auskennen. Ich habe schon viele Kunden erlebt, die das Medikament seit Jahren falsch einnehmen, weil es ihnen nie jemand erklärt hat.“

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