Medikationsfehler

Tödlicher Abgabefehler nach Ladenschluss

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Berlin -

Wie schnell ein kleiner Fehler bei der Abgabe von Medikamenten tödlich sein kann, zeigt ein tragischer Fall aus Nordrhein-Westfalen. Hier hatte ein Apotheker einer Patientin statt einem Phosphatbinder ein Herzmedikament abgegeben. Die Frau verstarb, der Pharmazeut musste sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. Jetzt wurde die ursprüngliche Strafe abgesenkt.

Es war der 6. September 2014. Der 1973 geborene Apotheker stand in seiner zwei Jahre zuvor übernommenen Apotheke, als die Tochter einer 78-jährigen Dialysepatientin bei ihm ein Rezept einreichte. Ihrer Mutter war Renvela (Sevelamer) verordnet worden, das in der Apotheke nicht vorrätig war. Der Pharmazeut versprach, die Ware nach Lieferung durch den Großhandel noch am selben Tag nach Hause zu bringen.

Im Verlaufe des Vormittags gab er außerdem Veramex (Verapamil) ab. Als Lagerartikel wurde der Calciumkanalblocker automatisch nachbestellt. Nach Ladenschluss schloss der Pharmazeut die Apotheke ab, fuhr den Computer herunter und wartete auf den Fahrer des Großhandels. Dabei nickte er kurz ein.

Als die Kisten durch die Anlieferungsklappe geschoben wurden, wurde er durch das Geräusch aufgeweckt. In der obersten Kiste lag nur Veramex; der Apotheker war der Meinung, dass es sich um das für die Patientin bestimmte Medikament handelte. Er verzichtet auf nochmaligen Abgleich mit dem Rezept und brachte das Präparat wie versprochen der Patientin nach Hause.

Erst am Montagmorgen bemerkte er, dass eine Packung des Medikaments Renvela auf dem Tisch für Nachlieferungen lag und anscheinend übrig geblieben war. Weil außer ihm nur zwei Teilzeitkräfte und zwei Fahrerinnen in der Apotheke arbeiteten, kam bei ihm der Verdacht auf, dass es zu einer Falschauslieferung gekommen sein könnte. Er prüfte die Samstagslieferungen und stieß dabei auf die Patientin, an die er meinte, das Präparat ausgeliefert zu haben.

Gegen 15.30 Uhr rief er in der Wohnung der Patientin an. Er erreichte die Tochter und erkundigte sich bei ihr nach dem am Samstag ausgelieferten Medikament. Sie nannte ihm den Namen – und setzte den Apotheker in Kenntnis, dass ihre Mutter zwischenzeitlich verstorben war.

Für den Apotheker brach eine Welt zusammen, er brach in Tränen aus. Gegen 18 Uhr fuhr er zur Wohnung der Verstorbenen. Dort gestand er der Tochter, dass er ihrer Mutter ein falsches Medikament abgegeben hatte, dessen Einnahme für den Tod mit ursächlich gewesen seien könnte.

Der Fall ging vor Gericht, die Tochter der Verstorbenen trat als Nebenklägerin auf. Laut Strafgesetzbuch (StGB) drohten dem Pharmazeuten wegen fahrlässiger Tötung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.

Am 2. August vergangenen Jahres wurde der Apotheker vom Schöffengericht Minden zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Pharmazeut ging in Berufung, wobei er den Schuldspruch akzeptierte und nur das Strafmaß korrigieren lassen wollte. Im Dezember kassierte das Landgericht Bielefeld die erstinstanzliche Entscheidung und setzte stattdessen eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 60,00 Euro fest.

Das ursprüngliche Urteil erachteten die Richter für „deutlich übersetzt und unverhältnismäßig“, wie aus der jetzt veröffentlichten Begründung hervorgeht. Zwar sei die ihm anzulastende Fahrlässigkeit nicht als ganz gering einzustufen, da er als Apotheker gegenüber seinen Kunden in einer besonderen Verantwortung stehe. Ein Gutachter hatte jedoch vor Gericht erklärt, dass die Frau heute noch leben könnte, wenn sie das richtige Medikament bekommen hätte.

Zu Gunsten des Angeklagten sei aber zu berücksichtigen, dass er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei. Er habe in der Berufungsverhandlung ein umfassendes von Reue getragenes Geständnis abgelegt und sein Versagen zutiefst bedauert.

Insbesondere sei ihm aber zugute zu halten, dass er seinerzeit die Wohnung der Verstorbenen aufgesucht und seinen Fehler gegenüber ihrer Tochter offenbart habe. Seine Angaben hätten zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt.

Die Richter verwiesen auch darauf, dass der Apotheker noch mit standesrechtlichen Konsequenzen zu rechnen habe. Tatsächlich hat der Vorstand der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) bereits beschlossen, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten. Für das Strafmaß – Rüge bis hin zu Feststellung der Berufsunwürdigkeit – wird entscheidend sein, ob der Fall als Verkettung unglücklicher Umstände gesehen wird oder als schwerwiegender Verstoß gegen die berufsrechtlichen Pflichten.

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