Großhandel

Pessina: Tausche Alliance gegen Phoenix

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Berlin -

Wer dachte, die Konsolidierung im Pharmagroßhandel sei abgeschlossen, wurde spätestens seit der Übernahme von Ebert+Jacobi durch die Noweda eines Besseren belehrt. Im Markt halten sich hartnäckig Gerüchte, dass sogar einer der Big Five von der Bildfläche verschwinden könnte. Im Zentrum steht Stefano Pessina, der offenbar bereit ist, das Pferd zu wechseln.

Es ist kein Geheimnis, dass McKesson und Walgreens Boots Alliance (WBA) als Mutterkonzerne von Gehe/Celesio beziehungsweise Alliance Healthcare alles andere als zufrieden mit der Geschäftsentwicklung und Ertragslage sind. Rabattschlachten und Hochpreiser drücken auf die Marge. Die Honorarumstellung des Jahres 2011, die eigentlich ein gesundes Auskommen ermöglichen sollte, hat alles nur schlimmer gemacht.

Ein Rückzug vom deutschen Markt ist freilich keine Option: Immerhin geht es um einen Schlüsselmarkt in Europa. Doch das Geschäft sollte bald wieder Spaß machen – zumal die Belegschaften bereits durch mehrere Sparrunden getrieben und sogar die Konzernzentralen geopfert wurden.

So erscheinen Gerüchte, dass die Mutterkonzerne in den USA über einen gemeinsamen Deal in Deutschland sprechen, nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Die Hausaufgaben sind gemacht; bei Alliance meuterten bereits mehrfach die Gewerkschaften, weil aus ihrer Sicht das Unternehmen kaputt gespart wird. Alteingesessene Führungspersönlichkeiten, die sich einem solchen Vorhaben in den Weg stellen könnten, gibt es nicht mehr – weder in Frankfurt noch in Stuttgart.

Im Kern soll es darum gehen, die Niederlassungsstruktur von Alliance zu zerschlagen: Das dichte Netz mit 25 kleineren Standorten steht seit Jahren auf dem Prüfstand; kein anderer Großhändler hat mehr Vertriebszentren. Die Niederlassungen sind oft zentral gelegen, immer wieder sollen Interessenten an die Tür geklopft haben. Da die Immobilien dem Konzern gehören, könnte ihr Verkauf Geld in die Kasse spülen.

Auch bei Gehe sind längst nicht alle Vertriebszentren ausgelastet oder gar profitabel – auch hier gab es vor Jahren Gerüchte, dass Niederlassungen aufgegeben werden könnten. Zusätzliche Aufträge von der Konkurrenz könnten das Geschäft beleben. Spannend an einem solchen Vorhaben wäre die kartellrechtliche Bewertung: Zwar wird eine marktbeherrschende Stellung erst ab 40 Prozent vermutet – und davon sind Gehe mit rund 16 Prozent und Alliance Healthcare mit rund 13 Prozent entfernt. Doch für bei der Fusionskontrolle zählt nicht der bundesweite Marktanteil, sondern die regionale Position. Die Sanacorp scheiterte vor einigen Jahren mit ihrem Versuch, die Anzag zu übernehmen, an nur zwei Niederlassungen.

Die entscheidende Frage aber ist, ob ein solcher Deal tatsächlich zu Skaleneffekten führen würde oder ob er nicht eigentlich viel zu piefig ist für die Jetsetter des ausgerufenen globalen Pharmahandels im 21. Jahrhundert. Und hier kommt Phoenix ins Spiel: Walgreens wäre demnach bereit, Alliance in Deutschland an Gehe/Celesio beziehungsweise McKesson abzugeben, wenn Pessina als Konzernchef dafür Phoenix als Ganzes bekommen könnte.

So abstrus solche Gedankenspiele auf den ersten Blick wirken, so logisch sind sie bei näherem Hinsehen: Pessina könnte auf ein stärkeres Pferd umsatteln und einen Teil des Kaufpreises durch den Verkauf von Alliance direkt selbst organisieren. Gehe könnte erstmals seit dem Niedergang im Zusammenhang mit der DocMorris-Übernahme wieder eine führende Rolle spielen: Die Stuttgarter bekämen tausende neue Kunden und damit Auslastung für ihre Niederlassungen. Das Risiko für einen Aderlass dürfte seitens der Alliance-Apotheker gering sein.

Die beiden US-Konzerne würden dann gemeinsam mehr als die Hälfte des Marktes kontrollieren – was der Logik eines global konsolidierten Großhandels absolut entspricht. Den Rest würden Genossenschaften und Privatgroßhändler unter sich auf aufteilen. Die erfolgsverwöhnte Noweda würde in einem solchen Szenario auf Rang 3 verwiesen.

Dazu passt, was bereits vor einem Jahr kolportiert wurde: Damals hieß es, es gebe einen Interessenten für Phoenix unter der Bedingung, dass der Branchenprimus seinen Marktanteil von 28 auf mehr als 30 Prozent steigert. Vor dem Hintergrund eines möglichen Gehe/Alliance/Phoenix-Deals in Deutschland wird klar, dass der Abstand zur neuen Nummer 2 ausreichend sein muss, um Pessina den Vorwurf zu ersparen, er habe die Konkurrenz allzu groß gemacht.

„Von der Marktlogik her spricht alles für eine solche Konstellation“, sagt ein Branchenkenner. Dass in den USA über die Verteilung des deutschen und europäischen Marktes gesprochen werde, sei evident, bestätigt ein weiterer Insider. Wie nah man in Übersee an der Realität des deutschen Marktgeschehens sei, stehe auf einem anderen Blatt.

Im Ausland dürfte die Übernahme von Phoenix durch Walgreens nur in wenigen Ländern auf Schwierigkeiten stoßen. Pessinas Konzern ist in Südeuropa, Frankreich und Großbritannien stark, Phoenix in Nord- und Osteuropa. In der Schweiz hat sich Pessina gerade bei Galenica ausbezahlen lassen – über die Phoenix-Tochter Amedis er könnte nun genauso schnell zurückkommen. Nur in Ländern wie Italien und Norwegen könnte die Freigabe schwierig werden, in Großbritannien und Frankreich sind Phoenix so klein und Alliance so groß, dass eine Trennung zu verschmerzen wäre. Helfen könnte ein Trick: Pessina könnte über den US-Großhändler AmerisourceBergen (ASB) zugreifen, bei dem Walgreens eine „nicht beherrschende Beteiligung“ von derzeit 23 Prozent hat.

Insgesamt würde ein solcher Deal zu Pessina passen: Der Italiener hat sich vorgenommen, „König der Arzneimittel“ zu werden. In den vergangenen Jahren hat er den US-Markt auf den Kopf gestellt; zuletzt mussten die Aktionäre der Apothekenkette Rite Aid lernen, dass er mit allen Wassern gewaschen ist. Nun könnte sich der 75-Jährige auch in Europa späte Genugtuung verschaffen – und ausgerechnet den Deutschen, die ihn über viele Jahre klein- und hingehalten hatten, seine Regeln aufzwingen.

Und Phoenix? Konzernchef Oliver Windholz beeilte sich im vergangenen Jahr, die damals entstandenen Gerüchte zu dementieren: Planungen, 30 Prozent zu erreichen und dann zu verkaufen, gebe es nicht. Die Eigentümerfamilie stehe dauerhaft zu Phoenix. Andererseits war schon nach dem Tod von Adolf Merckle mit McKesson über einen Verkauf des Pharmahändlers verhandelt worden. Nur weil die Übernahme von Ratiopharm durch Teva den Befreiungsschlag brachte, konnte der Konzern in Mannheim unabhängig bleiben. Ob der Großhändler heute noch als Vermächtnis gesehen wird oder ob es nicht irgendwann an der Zeit ist, sein Geld besser zu investieren, kann alleine die Familie entscheiden.



Großhandel in Deutschland:

Die 113 Großhandelsniederlassungen verteilen sich auf fünf Konzerne, fünf Privatgroßhändler, einen „Hybriden“ und einen Newcomer.

Branchenprimus Phoenix ist im Besitz der Merckle-Familie und kommt auf einen Marktanteil von 28 Prozent. Gehe mit rund 16 Prozent gehört zu Celesio; der Konzern wurde Anfang 2014 vom US-Großhändler McKesson gekauft. Alliance Healthcare – ehemals Anzag – ist Teil von Walgreens Boots Alliance (WBA) und hält einen Marktanteil von 13 Prozent.

Die beiden Genossenschaften Noweda und Sanacorp kommen auf rund 22 beziehungsweise 15 Prozent, die inhabergeführten Großhandlungen Richard Kehr und Kehr Holdermann, Max Jenne, Otto Geilenkirchen, C. Krieger und Leopold Fiebig halten zusammen rund 6 Prozent.

Hageda Stumpf in München ist operativ eigenständig, aber eng mit Phoenix verbandelt. AEP mit der Österreichischen Post als Hauptgesellschafter ist seit 2013 am Markt und hinsichtlich des Marktanteils noch von untergeordneter Bedeutung.

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